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Probeweise verdunkeln

Milliardenschulden und die fehlende Unterstützung der konservativen Regierung könnten das spanische Staatsfernsehen RTVE schon bald zur Privatisierung zwingen  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Spaniens öffentlich-rechtliche Fernseh- und Rundfunkanstalt RTVE ist am Ende: Umgerechnet 3,2 Milliarden Mark Schulden wird die Bilanz 1996 ausweisen, die Hälfte davon wurde alleine dieses Jahr gemacht. Dennoch überhört die konservative Regierung von José Maria Aznar die Hilferufe der vor einem halben Jahr berufenen RTVE-Direktorin Monica Ridruejo und lehnt eine Finanzspritze strikt ab. Statt der Übernahme der „von den Sozialisten erwirtschafteten Schulden“ wollen die Konservativen eine „strukturelle Reform“, wie der Staatssekretär für Kommunikationsfragen, Miguel Angel Rodriguez, verkündet. Wie die allerdings aussehen sollen, will er erst kurz vor Weihnachten verraten.

Die Krise bei RTVE begann mit der Zulassung der privaten Sendeanstalten 1990. Seither verliert vor allem das erste Programm zusehends an Zuschauern. Der einstige Marktführer ist mittlerweile auf eine durchschnittliche Einschaltquote von 24 Prozent abgesackt – vier Prozent weniger als im Vorjahr. Dem größten Privatsender, Antenna 3, gelang es diesen Sommer sogar, erstmals mit dem ungeliebten staatlichen Konkurrenten gleichzuziehen.

Weniger Zuschauer bedeuten weniger Werbeeinnahmen, neben den öffentlichen Zuschüssen die zweite wichtige Finanzquelle von RTV (Fernsehgebühren wie etwa in Deutschland sind den Spaniern fremd). Doch nur 38 Prozent ihres Finanzbedarfs kann die Sendeanstalt aus eigenen Einkünften decken, und überall warten die Gläubiger: zum Beispiel die spanische Retevision, die für die Sende- und Übertragungsanlagen zuständig ist, oder Telefónica, bei der Kosten in Millionenhöhe aufgelaufen sind. Selbst die knapp 80 Millionen Mark für Senderechte der Olympischen Spiele in Atlanta und der Champions League stehen noch aus.

Um trotzdem weitermachen zu können, beantragte Direktorin Ridruejo aus dem Staatshaushalt insgesamt 3,3 Milliarden Mark, die Hälfte zur Schuldentilgung und den Rest für die Produktion im kommenden Jahr. Die Regierung verwarf mit Blick auf das Haushaltsdefizit und auf Maastricht diese Zahlen und genehmigte nur knapp 200 Millionen. Statt dessen erhielt RTVE die Genehmigung, sich im nächsten Jahr abermals bei den Banken zu verschulden. „Das Problem ist gelöst“, lehnte sich Vizepräsident Francisco Alvarez Cascos am Mittwoch im Parlament selbstgerecht zurück, als er von der Opposition auf die prekäre Situation von RTVE angesprochen wurde.

Die Belegschaft sieht das anders. Für 1997 rechnen sie mit erneuten Verlusten in Höhe von über zwei Milliarden Mark. Alleine für Zinsen fallen täglich eine dreiviertel Million an. Der Betriebsratsvorsitzende Manuel Nolla fordert als ersten Schritt, noch vor der Ausarbeitung möglicher Umstrukturierungen, einen Finanzplan, der bereits dieses Jahr im Staatshaushalt verankert sein müsse, denn „mit fast sechs Milliarden Mark Schulden Ende 1997“ würde den Feinden der Anstalt deren „Untergang auf dem Silbertablett präsentiert“. Schon während des Wahlkampfs waren vor allem aus konservativen Kreisen immer wieder Rufe nach der Privatisierung der altehrwürdigen RTVE laut geworden.

Am kommenden Mittwoch wird es einen ersten kleinen Vorgeschmack auf eine rein private Fernsehberieselung geben. Dann nämlich wird die RTVE-Belegschaft aus Protest gegen die aktuelle Entwicklung mit einem vierstündigen Warnstreik die Mattscheibe im ersten und zweiten Programm verdunkeln. In der zweiten Dezemberwoche sollen die Zuschauer dann gar 24 Stunden auf die zwei staatlichen Kanäle verzichten müssen.

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