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Perlmuttlack an Polnareffbrille

■ Françoise Cactus hat ihr Leben als „Autobigophonie“ arrangiert

„Ich wußte ganz früh, daß ich nicht die echte Tochter meiner Eltern war. Ich fühlte mich anders. Ich sah anders aus.“ Mit diesen Sätzen beginnt Françoise Cactus ihr erstes Buch, ihre „Autobigophonie“. Von Irrungen, Wirrungen und Bizarrerien qua Geburt handelt dieses Buch, von einem Leben, das sich versucht, jenseits bürgerlicher Stereotypen zu entwickeln – und von der Autorin ja auch geführt wird: als Sängerin von Stereo Total, taz-Layouterin, Chansonniere und auch als DJane, die in Berliner Kaschemmen und Szeneläden auflegt.

Aufgewachsen wurde in La Grenoullière, einem kleinen Dorf in Burgund. Die (Ersatz-)Mutter schreibt Kriminalromane und kümmert sich nicht um die Erziehung ihres zahlreichen Nachwuchses, „die Kinder erzogen sich selbst oder gegenseitig“. Von deren Mann, dem „Vater“, weiß die Erzählerin nicht allzuviel: Faul ist er und ein Filou und „lag meist zwischen den Schenkeln meiner Mutter“.

Die „kleine Françoise“ fühlt sich einerseits wie Alice im Wunderland, andererseits oft fehl am Platz – ob zu Hause oder in der Schule, wo die Mitschülerinnen sie hassen, weil sie „dünn, tittenlos und trotzdem arrogant ist“. Auch später, schon in Berlin, ändern eine Punkfrisur und eine (medizinisch beglaubigte) Rippenprellung vom Pogotanzen nichts an der Tatsache, dauernd zwischen allen Stühlen zu hocken. „Auch im Destroy- Club blieb ich das Fräulein aus dem Schloß von Grenoullière, provinziell, einen Koffer in der Hand.“ Selbst die ach so unbürgerliche Wohngemeinschaft zeigt sich pikiert: „Nichts gefiel ihnen. Weder der rosafarbene Seidenschlafrock noch die Schaumlockenwickler, die über meiner Polnareffsonnenbrille hingen, noch – trotz Naturholzsohlen – die hochhackigen italienischen Sandalen, passend zu dem orangenen Perlmuttlack meiner Fußnägel.“

Das alles und noch viel mehr schreibt Françoise Cactus mit leichter Feder, zumeist recht heiter, oft lapidar. Als Schutz vor den öfter erklingenden melancholisch- sentimentalen Obertönen hat sie die „Autobigophonie“ in Hunderte von kurzen Absätzen mit zum Teil sehr witzigen Überschriften („London gefühlsecht“ usw.) eingeteilt. Schwer auf der Seele Lastendes – wie zum Beispiel die Episode „Der Schrei, der killt“, die eine versuchte Vergewaltigung verhandelt – läßt sich nun mal besser ertragen, wenn es gleichberechtigt neben banalen und lustigen Anekdoten steht. So werden Spuren gelegt und wieder verwischt, und so hält Françoise Cactus die eigene Biographie immer auch ein wenig auf Abstand, um sie schließlich über die eigene Gegenwart hinaus zu führen.

Zum Schluß bekommt die Heldin Briefe von ihrem Bruder aus dem Jahr 2006 und findet sich zu guter Letzt „Fremd im eigenen Dorf“ wieder, wo auch ihre Grabsteininschrift vorbereitet ist: „Hier liegt sie, wo sie zu liegen pflegte, nur daß sie, solange sie lebte, den Po dazu bewegte.“

Bleibt bloß noch die Frage, ob auch Françoise Cactus eines fernen Tages knapp, Diva-like und ehrfurchtsvoll „die Cactus“ geheißen wird. Gerrit Bartels

Françoise Cactus: „Autobigophonie“. Martin Schmitz Verlag, Kassel, 352 Seiten, 28 DM

Die Leseshow zum Buch (Cactus & Friends): heute, 22 Uhr, Berlin, Volksbühne; 24. 11. Kassel, Karikatura; 15. 12. Hamburg, Pudels Club

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