piwik no script img

Zu Fuß nach China?

■ ZIS-Reisestipendien für Jugendliche mit Phantasie: 800 Mark für mindestens vier Wochen unterwegs

Es fing mit einer wahnwitzigen Reise an: Allein und fast ohne Geld radelte der 16jährige Jean Walter um die Jahrhundertwende nach Istanbul. Der Franzose hatte sich in den Kopf gesetzt, er müsse unbedingt die Hagia Sophia sehen. Später wurde er ein steinreicher Industrieller. Seine Erklärung für seine Karriere: Reisen bildet nicht nur mehr als alle Schulen und Universitäten zusammen – es fördert auch Unternehmungsgeist und Initiative. „Um junge Menschen aus der Geborgenheit des täglichen Lebens herauszureißen“, ihre Phantasie zu fördern und so den Niedergang der französischen Industrie aufzuhalten, gründete er eine Stiftung zur Vergabe von Reisestipendien.

In Deutschland wurde Jean Walters Idee von ZIS, einem bei der Schule Schloß Salem angesiedelten Verein, aufgegriffen. Seit 1956 können sich dort Jugendliche im Alter von sechzehn bis zwanzig Jahren um ein Reisestipendium bewerben. Den jährlich rund vierzig Stipendiaten werden allerdings nicht bequeme Ferien, sondern strapaziöse Studienreisen finanziert.

Auch im vierzigsten Jubiläumsjahr sind die ZIS-Bedingungen beinhart wie zu Walters Zeiten: „Die Stipendiaten verpflichten sich, allein und selbständig nach eigenem Plan für mindestens vier Wochen ins Ausland zu reisen.“ Dort wählen sie ein Sachgebiet, das sie „in Form einer Studienarbeit bearbeiten“ sollen. Nach ihrer Rückkehr liefern sie diese Arbeit und ein Tagebuch bei ZIS ab. Kim Daumiller reichte nach drei Monaten Irland zum Thema „keltische Flechtbandornamentik“ einen selbstgeschmiedeten Silberarmreif ein – auch „praktische Studienarbeiten“ sind möglich.

Der härteste Brocken ist jedoch: Während der ganzen Reise darf nur der Stipendienbetrag von 800 Mark „und gegebenenfalls unterwegs hinzuverdientes Geld“ ausgegeben werden. Wer mit so wenig Geld wegkommen will, muß entweder zu Fuß gehen, mit dem Rad fahren – oder sich etwas einfallen lassen: Friedrich von Bismarck zum Beispiel heuerte auf einem Frachtschiff an und kam bis Angola, Annette Kerckhoff tingelte mit einem Zirkus durch England. Manchmal hilft auch das allen ZIS- Reisenden ausgehändigte Empfehlungsschreiben der Unesco dabei, Behördentüren zu öffnen oder Mitfahrgelegenheiten zu organisieren.

Die meisten Stipendiaten versuchen, per Autostopp ihr Ziel zu erreichen. Wegen des für sie höheren Risikos verbietet ZIS Mädchen das Trampen. Natürlich sind es dann gerade 16jährige Mädchen, die von einer ägyptischen Oase zur nächsten trampen – während es durchschnittliche Muttersöhnchen meist gerade mal per Bahn bis Frankreich schaffen.

Die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Christine Swientek stellte beim Durchwühlen der über tausend Reiseberichte des Salemer ZIS-Archivs fest: „Die weibliche Abenteurerin macht vor nichts halt. Für sie ist das Leben eine einzige Herausforderung, die zu bestehen es gilt. Das ZIS-Reise-Blut beginnt erst dann so richtig zu wallen, wenn als einzige Rettung im russischen Grenzgebiet beim Abenddämmern ein Armeelaster durch den dunklen Tann bricht, vor dessen Räder man sich wirft, um mitgenommen zu werden.“

Fast die ganze Welt wurde mit dem Hunger-Stipendium schon bereist. Nur an Süd- und Nordpol, in Australien und in China zeigt die ZIS-Weltkarte noch größere weiße Flecken. Also, nichts wie hin, und ab geht's! Martin Ebner

weitere Informationen:

ZIS, Stiftung für Studienreisen e.V.; c/o Schule Schloß Salem, D-88682 Salem, Tel. (07553) 81332

Bewerben können sich alle Jugendlichen, die nicht jünger als 16 und nicht älter als 20 Jahre sind (junge Studenten dürfen also noch mitmachen). Das Alter ist die einzige Vorbedingung. Staatsbürgerschaft, Schuhgröße und dergleichen sind der ZIS-Jury egal. Einsendeschluß für Bewerbungen: 15. Februar

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen