: „Nur ein Aufschwung könnte Stabilität bewirken“
■ Der Börsenmakler Carlo Guidi, stellvertretender Leiter eines Mailänder Devisen- und Aktienbüros, über die Folgen des neuen Wechselkurses für Hersteller und Endabnehmer
taz: Herr Guidi, der Lira-Umtauschkurs wurde auf 990 für die Mark fixiert. Jetzt schreien Industrie, Handwerk und Bauernstand Zeter und Mordio. Ist der Unterschied zwischen 990 und 1.010 wirklich so gravierend?
Carlo Guidi: Es ging ja zunächst nicht um 990 oder 1.010, sondern um 950, wie die Franzosen forderten, und 1.060, wie das Italien wollte. Da lagen wir also 110 Lire oder an die zehn Prozent auseinander. Wie sich das auswirkt, hängt zunächst einmal von den Umständen ab. Boomt die Wirtschaft, sind die Gewinnmargen groß, dann haben diese sieben Prozent, um die wir von unseren Vorstellungen abrücken mußten, keine verheerende Wirkung.
Derzeit stecken wir jedoch in einer Krise, in der die Unternehmen ihre Gewinnspannen mit einer Null vor und zwei Stellen hinter dem Komma kalkulieren – wenn sie nicht gar Verluste einrechnen müssen. Da kann der „kleine Unterschied“ zwischen 990 und 1.010, also etwa zwei Prozent Kursunterschied, den gesamten Gewinn auffressen. Nehmen Sie mal unseren Wein. Im Großhandel, so ab Einheiten von 10.000 Flaschen, macht bei einem Zwischenhandelspreis von fünf Mark pro Flasche ein Kursunterschied von nur zwei Prozent tausend Mark aus – das ist mehr, als die gesamte Spedition kostet. Abgesehen davon ist die 1.000er-Grenze natürlich auch eine Schwelle.
Sollte man nicht für möglich halten bei rational denkenden Geschäftsleuten...
Ist aber so, weniger bei den Herstellern und den Zwischenhändlern als bei vielen Endabnehmern. Wenn Sie heute ein Produkt, sagen wir mal, ein Auto, in Deutschland absetzen wollen, haben Sie doch auch Ihre Schwellen: Wenn unser kleinster Fiat von 16.990 auf 17.330 Mark hochgesetzt werden muß, ist das ein beträchtlicher Einbruch.
Wie kam es eigentlich zu jenem dramatischen Kursverfall vor vier Jahren, als die Lira gegenüber der Mark von 720 bis auf 1.270 absackte?
Da gab es mehrere Gründe. Erstens rutschte unsere Wirtschaft schneller in die Krise als die anderer Ländern; aber das hätte korrekterweise allenfalls einen Verlust von 15 Prozent bedeuten dürfen, also einen Kurswert um die 900 Lire zu einer Mark. Zweitens wurde aber auch der Dollar schwächer, vom dem unsere Wirtschaft vor allem auf dem Rohstoff- und Erdölsektor stark abhängt. Ein dritter Grund, der gerne verschwiegen wird, war der, daß Italien 1991/92 ein Gesetz gegen Geldwäsche verabschiedet hat, ohne daß die anderen europäischen Staaten das ihrerseits taten. Da sind mehrere hundert Milliarden Mark aus unserem Geldkreislauf abgezogen worden. Und die sind – vierter Grund – zusammen mit anderem Spekulationskapital dorthin geflossen, wo's sicher war und es gleichzeitig hohe Zinsen in gutem Geld gab, vor allem nach Deutschland.
Besteht denn nach der Einigung auf einen neuen Kurs jetzt Aussicht auf Lira-Stabilität?
Ich fürcht nein. Es ist noch überhaupt nicht ausgemacht, wie unsere Konjunktur all die Sparmaßnahmen verdauen wird, die uns für die Rückkehr ins EWS auferlegt wurden.
Gut möglich, daß es eine erneute Flucht aus der Lira gibt, wenn die Konjunktur nicht in Schwung kommt. Möglich ist aber auch, daß sie bei einem Boom überhitzt, weil sich Spekulanten draufsetzen. Nur ein sehr maßvoller, langanhaltender Aufschwung könnte die Stabilität bewirken. Dafür aber gibt es noch keinerlei Anzeichen. Interview: Werner Raith
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