■ Die Lira ist vier Jahre nach ihrem Ausscheiden wieder Mitglied im Europäischen Währungssystem (EWS). Der Kurs wurde auf 990 pro Mark festgelegt. Italiens Industriekapitäne, Landwirte und die Tourismusbranche bangen jetzt um ihren Absatz: D
Die Lira ist vier Jahre nach ihrem Ausscheiden wieder Mitglied im Europäischen Währungssystem (EWS). Der Kurs wurde auf 990 pro Mark festgelegt. Italiens Industriekapitäne, Landwirte und die Tourismusbranche bangen jetzt um ihren Absatz
Die Rehabilitation macht Italien erst recht krank
Die gute Nachricht, so witzelten Italiens Finanzexperten nach der Einigung der EU-Finanzminister und der Zentralbankchefs Sonntag nacht, lautet: Wir kehren ins Europäische Währungssystem zurück. Die schlechte: Wir werden dran krepieren.
Katzenjammer allenthalben, seit die Bedingungen bekanntwurden, unter denen Italien nach vier Jahren ins EWS zurückkehrt. Im September 1992 erklärte sich die italienische Regierung nicht länger bereit, die Kursschwankungen aufzufangen: Infolge eines beispiellosen Kursverfalls stürzte damals die Lire von 720 zu einer Mark auf 1.270. Nur Regierungschef Romano Prodi, der vorige Woche seinen Rücktritt angedroht hatte für den Fall, daß ihm seine Koalitionäre nicht bedingungslos in Richtung Europa folgen, strahlt wie ein Erstkläßler, der zum ersten Mal ein ganzes Wort geschrieben hat: Den Eintritt ins EWS möchte er gerne als sein erstes Meisterstück verkaufen: „Jetzt ist es ganz nah: Europa!“
Doch respektlos brummeln nun alle, daß das Wort nichts taugt: Europa – jedenfalls nicht so, wie Prodi es buchstabiert. Die Wirtschaftskapitäne, ohnehin schon seit Monaten eher auf Distanz zur geplanten gemeinsamen Währung, sehen riesige Halden von Italo-Produkten wachsen, weil der Wechselkurs mit 990 Lire zu einer Mark so immens hoch festgelegt wurde, daß nahezu kein Erzeugnis im Ausland mehr konkurrenzfähig ist. Tatsächlich hatte Italien die Verhandlungen auch mit einem Vorschlag von 1.050 Lire zu einer Mark begonnen.
Die Tourismusbranche, dieses Jahr schon durch den innerhalb eines Jahres von über 1.200 auf 1.000 Lire zu einer Mark gekletterten Umtauschkurs gebeutelt, gibt alle Hoffnung auf: „Sowohl die mittelfristige Planung wie die langfristige“, verzagt ein Verbandsprecher, „sieht grau in grau aus. Mit diesem Kurs bekommen wir selbst bei Preissenkungen von 20 Prozent unsere Hotels nicht mal mehr halb voll. Und dabei haben wir schon jetzt Abschläge von bis zu 25 Prozent hinnehmen müssen, um überhaupt noch große Veranstalter für uns zu interessieren.“
Die Bauern fluchen, weil sie den ungünstigen Kurs der Einwirkung Frankreichs zuschreiben; der Erbfeind im Westen hat den italienischen Agrariern seit Jahren arg zugesetzt und mitunter gar die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte blockiert. Frankreichs Staatschef Chirac wirft den Südstaatlern seit seinem Amtsantritt vor, sie hielten ihre Waren nur über einen künstlich erzeugten Kursverfall konkurrenzfähig. Sein Vorschlag für den Eintrittspreis ins EWS lag gar bei 950 Lire zu einer Mark. Die italienischen Bauern reklamieren umgekehrt nicht zu Unrecht, daß die Franzosen ihrerseits ihre eigenen Gewinnspannen dadurch überdurchschnittlich hochhalten wollen, daß sie billigere Konkurrenz einfach vertreiben.
Die Gewerkschafter, an sich für alles zu haben, was nach Europa klingt, schütteln ebenfalls den Kopf. Sie wissen, daß ein weiterer Einbruch in die ohnehin mehr als im übrigen Europa abgesackte Wirtschaft Italiens die Arbeitslosenrate von derzeit an die 14 Prozent durchaus auf satte 17 oder gar 18 Prozent treiben könnte.
Auch die Opposition, die noch am Wochenende bei der Bekanntgabe ernsthafter Verhandlungen über den Wiedereintritt ins EWS anerkennende Worte fand („Eine gute Nachricht“, so Forza-Italia- Chef Silvio Berlusconi), geht auf Distanz. „Grauenhaft“ findet die Rechte nun das Ergebnis. „Die Regierung hat offenbar alles Verhandlungsgeschick vermissen lassen.“
Wohl möglich. Doch die Fixierung des Kabinetts Prodi – dem mit Außenminister Lamberto Dini und Schatzminister Carlo Azeglio Ciampi gleich zwei ehemalige Notenbanker und geschworene Europafans angehören – auf den Eintritt ins Maastricht-Europa ist derart ausgeprägt, daß für sie am Ende nur die Nachricht vom Wiedereintritt zählt, nicht die Bedingungen, unter denen sie sich vollzieht.
Dabei hatten die Italiener einen überaus starken Verbündeten: Deutschlands Kanzler Kohl. Trotz massiver Bedenken aus der deutschen Bundesbank – „der sucht nach einem Feigenblatt für Maastricht“, so ein Mitarbeiter zur taz – will der Bonner Supereuropäer mit der EWS-Rehabilitierung Italiens ein Exempel in Richtung auf den Euro statuieren: Seht her, wenn man sich anstrengt, klappt's auch. Zudem hat für Helmut Kohl Italien als EWG-Mitglied der ersten Stunde hohen Symbolwert. Der Sparhaushalt der Italiener, mit dem auch noch eine eigene Europasteuer einhergehen soll, hat zumindest an der Oberfläche das entsprechende Image geschaffen.
Darunter aber schimmert auch für durchweg wohlwollende Freunde der Regierung die Angst durch, die mit all den Haushaltsmanövern verbunden ist. Nicht nur, daß eine lange Reihe von Finanzmanövern unseriös projektiert ist; schon jetzt ist klar, daß ein Nachtragshaushalt von mehr als einem Dutzend Milliarden Mark nötig sein wird – die möglichen negativen Folgen der EWS-Rückkehr noch gar nicht eingerechnet. Dazu können zahlreiche vorgesehene Neuregelungen im Steuersystem gar nicht funktionieren. So etwa die Sanierung des nationalen Haushalts durch Delegierung eines Teils der Steuerfestsetzung an die Regionen (vergleichbar unseren Bundesländern) und Provinzen (Regierungsbezirke). Diese sind, da bisher an Steuersachen nur mäßig beteiligt, gar nicht imstande, ihren eigenen Bedarf wirklich abzuschätzen, zumal sie gleichzeitig zahlreiche neue Aufgaben bekommen haben.
Regierungschef Prodi juckt das alles nicht sonderlich. Der guten und der schlechten Nachricht fügt er denn auch eine weitere hinzu. Die „Supernachricht“ lautet: „Und wieder einmal sind wir, trotz anderslautender Voraussagen, am Ende doch nicht krepiert.“ Werner Raith, Rom
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