: Nur „Pechvögel“ sterben an BSE
■ Eine erste offizielle Studie geht davon aus, daß in Großbritannien jährlich Hunderte Menschen sterben werden, die BSE-verseuchtes Rindfleisch gegessen haben. Überwachungssausschuß will dies sogar als Entwarnung verkaufen
Dublin (taz) – In Großbritannien werden jedes Jahr Hunderte von Menschen, die BSE-verseuchtes Rindfleisch gegessen haben, am Creutzfeldt-Jakob-Syndrom (CJS) sterben. Das prophezeit eine Studie des von der Londoner Regierung eingesetzten Creutzfeldt-Jakob-Überwachungsausschusses im schottischen Edinburgh. Allerdings lagen die offiziellen Stellen bei den Schätzungen der BSE-Fälle stets dramatisch unter den tatsächlichen Zahlen. Und bis März wurde noch vehement bestritten, daß der Rinderwahnsinn überhaupt eine Gefahr für Menschen darstelle.
Der Ausschuß will die neue Erkenntnis nun sogar als Entwarnung verkaufen. „Dankenswerterweise ist es nicht das Weltuntergangsszenario, das einige schon vorausgesagt haben“, sagte James Ironside, einer der Autoren des Berichts für die Medizinerzeitschrift Lancet. Es werde wohl nur „einige wenige Pechvögel“ treffen, fügte der Wissenschaftler hinzu.
Die Pechvögel – das sind wieder mal die untersten Einkommensschichten. Ironside glaubt, daß die größte Gefahr in den Jahren 1988 und 1989 bestand. Damals hatte der Rinderwahn zwar längst epidemische Ausmaße erreicht, doch entschloß sich die britische Regierung erst Ende 1989, Rinderhirne und bestimmte Innereien aus dem Verkehr zu ziehen. Bis dahin gelangten diese Produkte ungehindert in die menschliche Nahrungskette und wurden vor allem in billigen Fleischpasteten, Hamburgern und minderwertigen Fertiggerichten verwendet – Mahlzeiten, die bei ärmeren Familien regelmäßig auf dem Speiseplan standen. In solchen Gerichten durften sogar noch Rinderaugen verwendet werden, als es längst verboten war, sie im Biologieunterricht auch nur zu sezieren.
Die Edinburgher Wissenschaftler glauben, daß die Zahl der CJS-Fälle stetig ansteigen wird, bis im Jahr 2003 ein Höhepunkt erreicht ist. Diese Prognose basiert auf der Annahme, daß die Inkubationszeit für die neue CJS-Variante, die durch den Verzehr von BSE-Rindfleisch ausgelöst wird, ebenso wie bei der herkömmlichen Variante 15 Jahre beträgt. Das ist jedoch nicht sicher, zumal bei der neuen Form von CJS – wissenschaftlich vCJS – der Krankheitsverlauf wesentlich langwieriger ist. Außerdem beträgt das Durchschnittsalter der Opfer 28 Jahre, während es bei der alten Form bei 63 Jahren liegt.
Ironside gehörte dem Forschungsteam Collinge an, das im vergangenen Monat das bisher deutlichste Indiz für die Übertragbarkeit von BSE gefunden hat. Man stellte fest, daß die Prionen, die für vCJS verantwortlich sind, mehr Ähnlichkeit mit den BSE-Prionen als mit denen des herkömmlichen CJS haben. An vCJS sind bisher 14 Menschen erkrankt. Die Zahl hat sich seit 1993 jedes Jahr verdoppelt.
Der neue Bericht enthält zahlreiche Unbekannte. Warum befällt die Krankheit vor allem jüngere Leute? Welche Dosis ist tödlich? Reicht schon ein BSE-Burger? In diesem Fall wären Ironsides Schätzungen Makulatur: Eine unabhängige Oxforder Studie hat errechnet, daß bis 1989 fast eine halbe Million infizierte Rinder auf dem Mittagstisch gelandet sind. Ein Sprecher des Londoner Gesundheitsministeriums sagte gestern, es sei noch zu früh für irgendwelche Prognosen. Das findet Sandra Galloway von der Gruppe der Angehörigen von CJS-Opfern nicht: „Es sieht so aus, als ob wir jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können.“ Ralf Sotscheck
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