: Verbraucher tappen im halbdunkeln
EU macht Weg frei für die Kennzeichnung von Genprodukten, deren Substanz verändert ist. War bei der Herstellung Genmanipulation im Spiel, erfahren die Konsumenten das aber nicht ■ Aus Brüssel Alois Berger
Manche gentechnisch veränderten Lebensmittel müssen künftig gekennzeichnet werden. Der Vermittlungsausschuß zwischen EU- Ministerrat und Europäischem Parlament einigte sich gestern nacht auf einen Kompromiß, wonach manipulierte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, wenn sie sich von herkömmlichen Produkten unterscheiden. Der Unterschied muß wissenschaftlich nachweisbar sein.
Die SPD-Sprecherin für Verbraucherschutz im Europaparlament, Dagmar Roth-Behrendt, nannte den Kompromiß das bestmögliche erreichbare Ergebnis. Dagegen kritisierte die Europaabgeordnete der Grünen, Hiltrud Breyer, die Verordnung weise zu viele Lücken auf. So werde zwar die genmanipulierte Sojabohne gekennzeichnet, nicht aber das daraus gewonnene Sojaöl, ganz zu schweigen von den zehn- bis zwanzigtausend Lebensmitteln, in denen Sojaöl oder Sojaschrot in irgendeiner Art verarbeitet wurde.
Auch Zucker, der aus genmanipulierten Rüben hergestellt wird, muß auf der Verpackung keinen Hinweis tragen, da er sich von herkömmlichem Zucker auch mit wissenschaftlichen Analysen nicht unterscheiden läßt. Dasselbe gilt auch für das Fleisch von Tieren, die etwa mit gentechnisch manipuliertem Sojaschrot gefüttert wurden.
Der Kompromiß beendet einen jahrelangen Streit zwischen der Europäischen Kommission, dem EU-Parlament und dem Ministerrat, in dem die 15 EU-Regierungen vertreten sind. Bisher gibt es überhaupt keine Vorschriften, wie gentechnisch veränderte Lebensmittel etikettiert werden müssen. Alles ist erlaubt, was nicht nachweislich gesundheitsschädlich ist. Nach der neuen EU-Verordnung spielt die Frage der Gesundheitsschädlichkeit keine Rolle mehr. Wenn sich ein Produkt in seiner Zusammensetzung, seinen Nährwerteigenschaften oder seiner Verwendbarkeit von herkömmlichen Lebensmitteln unterscheidet, muß das künftig draufstehen.
Vor allem die Europäische Kommission, aber auch einige Regierungen wollten die Kennzeichnung von genmanipulierten Lebensmitteln weitmöglich verhindern. Man dürfe die neuartigen Produkte nicht „diskriminieren“, meinte etwa der deutsche EU- Kommissar Martin Bangemann.
Verbraucherschützer und Allergikerverbände befürchten, daß auch solche gentechnischen Veränderungen Einfluß auf die Gesundheit haben könnten, die derzeit nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden können. Als kleinen Erfolg werten sie, daß die neue Verordnung Herstellern, die auch künftig ohne Gentechnik auskommen, die Möglichkeit läßt, dies auf der Packung anzugeben.
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