Bundesrat soll heute das Stasigesetz kippen

■ Novellierung des Gesetzes scheitert wahrscheinlich in der Länderkammer

Berlin (taz) – Der Bundesrat soll die vom Bundestag beschlossene Novellierung des Stasiunterlagengesetzes verhindern. Zu ihrer heutigen Sitzung liegt der Länderkammer eine Empfehlung des Ausschusses für innere Angelegenheiten vor. Darin wird der Bundesrat aufgefordert, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Statt dessen soll der Vermittlungsausschuß angerufen werden. Ziel der Intervention ist es, eine Stichtagregelung bei Auskünften der Gauck-Behörde zu verhindern.

Anfang November hat der Bundestag nach monatelangen Diskussionen die dritte Novellierung des Stasiunterlagengesetzes gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS verabschiedet. Schwerpunkt der Neuregelung ist eine Beschränkung der Auskunftspflichten für die Gauck-Behörde. Unter dem Gesichtspunkt „der Eingliederung weniger belasteter Stasimitarbeiter und der Förderung des Rechtsfriedens“ soll die Stasiaktenbehörde künftig in den Fällen keine Auskunft mehr erteilen dürfen, in denen die Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR vor dem 1.1. 1976 „endgültig beendet“ wurde. Im Gegensatz zur bisher gültigen Praxis soll bei Personenüberprüfungen für diesen Betroffenenkreis eine Unterrichtung über eine frühere Stasimitarbeit grundsätzlich entfallen. Ausgenommen sind nur die Fälle, in denen im Zusammenhang mit einer IM-Tätigkeit schwere Verbrechen begangen wurden oder gegen die „Grundsätze von Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit“ verstoßen wurde.

Dem Beschluß im Bundestag lag eine gemeinsame Gesetzesinitiative von Koalition und SPD zugrunde. Mit der Novellierung wurde weiter geregelt, daß auch bei einer „Geringfügigkeit einer Stasimitarbeit“ eine Auskunft durch die Gauck-Behörde unterbleiben soll.

Die neue Stichtagregelung war bereits im Innenausschuß des Bundestages auf heftige Kritik gestoßen und als „kleine Amnestie“ bezeichnet worden, „mit deren Hilfe eine Stück Stasivergangenheit der Vergessenheit anheim fallen würde“. Diese Auffassung machte sich nun auch der Ausschuß für innere Angelegenheiten im Bundesrat zu eigen. Die beschlossene Beschränkung der Auskunftserteilung, heißt es in der Empfehlung an der Bundesrat, „steht im Widerspruch zu einer umfassenden Bewältigung der SED-Diktatur. Es könnte „das Vertrauen der Opfer des SED-Unrechts in die rechtsstaatliche Aufarbeitung der Vergangenheit mindern“.

Tatsächlich fürchten die Initiatoren der Novellierung aber weniger, wie in der Begründung angeführt, drohende Defizite im Rechtsfrieden. Sie hatten mögliche Urteile des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vor Augen. Die Überlegung, die auch ein früherer Direktor der Gauck-Behörde anstellte: Sollte ein vergleichsweise unbedeutender Stasispitzel, dessen Stasizuträgerschaft auch noch jahrzehntelang zurückliegt, das oberste Gericht wegen seiner Abweisung beim öffentlichen Dienst anrufen – Karlsruhe könnte auf „Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ entscheiden. Damit stünde das gesamte Stasiunterlagengesetz in Frage.

Der Empfehlung, den Vermittlungsausschuß anzurufen, widersprachen im Innenausschuß des Bundesrates in der Sitzung am 14. November die Vertreter von Brandenburg, Hamburg und Schleswig- Holstein. Für eine Verhinderung der Stichtagregelung votierten Berlin, Bremen, Mecklenburg- Vorpommern und Sachsen, das den Antrag in den Ausschuß eingebracht hatte. Die Vertreter der übrigen neun Länder enthielten sich.

Sollte der Bundesrat heute beschließen, den Vermittlungsausschuß anrufen, dann muß sich der Bundestag erneut mit der Novellierung beschäftigen. Sollte er diese bestätigen, kann der Bundesrat binnen zwei Wochen wiederum Einspruch einlegen. Der kann dann allerdings mit der knappen Kanzlermehrheit zurückgewiesen werden. Wolfgang Gast