: Der befreite Betrachter
Prädikat „Thema verfehlt“: Die Ausstellung „Das szenische Auge“ versucht das Verhältnis von Kunst und Theater zu hinterfragen ■ Von Katrin Bettina Müller
Was ist das denn nun? Eine Wölbung und eine Kuhle hat Hermann Pitz seinen Formen aus rosa Gießharz gegeben. Zu zweit nebeneinander und vor ein Stück Spiegel gestellt, nehmen die befremdlichen Objekte die Vertrautheit von alten Pantoffeln an. „Setze ich es dann allein auf einen weißen Sockel, sagend: ,Du bist nun eine autonome Skulptur‘“, beschreibt Pitz sein Verhältnis zu dem von ihm in die Welt Gesetzten, „so wird es enttäuscht und schwächlich dreinblicken.“ Also verlange jedes Ding eine Rolle im Ensemble.
Für Hermann Pitz umschreibt der Begriff des Theaters eine Funktionsweise, wie sich Objekte des Alltags und der Kunst zueinander verhalten und in diesem Zueinander zugleich etwas von den sozialen Umgangsformen der Menschen spiegeln. Er gehört zu den 19 in Deutschland lebenden KünstlerInnen, die das Institut für Auslandsbeziehungen zu der Ausstellung „Das szenische Auge – Bildende Kunst und Theater“ eingeladen hat. Deren erster Teil wurde im Haus der Kulturen der Welt eröffnet, ein zweiter folgt in der Royal Festival Hall in London ab 13. Dezember. Dann werden die Installationen auf eine langjährige Tournee geschickt.
Vielleicht liegt in dieser Reisefähigkeit der Werke der Grund für ihr glattes Nebeneinander. Sie wollen den Betrachter in eine Kommunikation verstricken und machen ihm freundliche Angebote: Setz dich auf diesen Stuhl und höre das Tropfen und Glucksen aus vier Lautsprechersäulen (Hans Peter Kuhn), Sturmheulen lockt vor die verlangsamten Videobilder von Rosemarie Trockel, und in die großen aufgeplatzten Schalen von Karlhein Schäfer, die mitten im Raum liegen, könnte gut ein Mensch hineinkriechen.
Zwei Konzepte und ein Zufall
Diese sinnlichen Konkurrenzen möchten mehr als nur den Begriff des Gesamtkunstwerkes wieder aufwärmen. Doch die Frage des Kurators Wolfgang Storch nach neuen Impulsen in der Begegnung von bildender Kunst und Theater beantwortet die Ausstellung kaum. Sie gleicht mehr einem Nebeneinander konzeptueller Ansätze, deren Berührung mit dem Theater zufällig ist.
„Wollen Sie ein Bühnenbild machen?“ lautet die typische Frage eines Theaterdirektors an einen bildenden Künstler. Für diese Form der Zusammenarbeit entschieden sich Günther Uecker und Olaf Metzel, die zugleich unterschiedliche Generationen vertreten. Asche ist die Grundsubstanz der Zeichnungen und kleinen Guckkastenmodelle von Uecker zu dem „Ring des Nibelungen“. Aus Holz, Draht und Steinen besteht die ganze Welt, deren baldigen Untergang die Asche immer schon mit erzählt. Kaum weniger auf Fegefeuer ist Olaf Metzel aus, der mit der Regisseurin Marlene Streeruwitz an Edward Bonds „Trauer zu früh“ gearbeitet hat: Nur führen seine zusammengeschmorten Gartenstühle und Bierkästen aus Plastik nicht in die archaische Katastrophe, sondern in das profane Ersticken im eigenen Müll. In eine Ecke der Ausstellung geräumt, nimmt Metzels Klump ein Ende der Kunst vorweg, die ununterscheidbar in der Welt der Nichtkunst versickert.
Mit Mao-Jacken aus gelber und blauer Seide, die hoch im Raum schweben, arbeitet Qin Yufen. Das einfache Kleidungsstück steht noch immer für den Gleichheitsanspruch der Kulturrevolution und als Seidenmodell zugleich für ein Bedürfnis nach Verschiedenheit und Reichtum. Die Jacken sind Requisiten des täglichen Reigens, dem sich kaum jemand entziehen kann. Wer kennt nicht die plötzliche Erkenntnis: Das Leben ist ein Theaterspiel mit falsch besetzten Rollen? Doch um ein philosophisches Spiel von Sein und Schein geht es hier den wenigsten KünstlerInnen.
Der Lustgewinn des Theaters
Jochen Gerz, nur im Londoner Part vertreten, möchte den „atavistischen Lustgewinn“ des Theaters gegen den „Selbstverlust auf der Couch unserer Geschichte“ mobilisieren: die theatralische Form als Zugriff auf den Betrachter. Antje von Graevenitz, die mit Storch und Michael Freitag das Konzept der Ausstellung erarbeitet hat, erinnert an die Fluxus-Zeit, als man noch auf das Happening als „moralische Anstalt“ setzte: „Kultur erhielt von den Künstlern den Auftrag, den Betrachter zu vereinnahmen mit dem Ziel, daß sich dieser nun endlich selbst befreien lerne.“ Vielleicht liegt im Mißlingen dieses Experiments letztlich auch die Enttäuschung über diese Ausstellung begründet: An Befreiung glaubt der Betrachter längst nicht mehr, schon gar nicht mit Hilfe der Künste. Katrin Bettina Müller
John-Foster-Dulles-Allee 190, bis 5.1.97, Di.–So. 14–19 Uhr
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