piwik no script img

So sanft wie möglich

In dreißig Bürgerkriegsjahren zog die Entwicklung des internationalen Tourismus an Eritrea vorbei – nun will das Land Tourismus ohne Ausverkauf  ■ Von Jörg Schöpfel

Eritrea. Visitenkarte: Land am Horn von Afrika, der lange Befreiungskrieg gegen Äthiopien und die schweren Hungersnöte der 80er. Eritrea nun ein Land für „Biking, Hiking und Diving“? So jedenfalls ist es geplant: Der Tourismus soll helfen, den Wiederaufbau des Landes anzuschieben. „We don't want mass tourism – we want quality tourism“ ist das Glaubensbekenntnis staatlicher wie privater touristischer Institutionen. Für Fachleute aus der Tourismusbranche ist Eritrea aus ganz besonderen Gründen interessant: In dreißig Kriegsjahren war Eritrea abgekoppelt von der Entwicklung der Tourismusindustrie zu einem weltweiten Wirtschaftszweig. Seine Unberührtheit ist seine Marktchance.

Ein Besuch der alten axumitischen Stätten von Matara und Koheito im Süden des Landes führt durch die alten Kulturlandschaften des abessinischen Hochlands. Unmittelbar östlich der Hauptstadt Asmara beginnt der Steilabfall des Hochlands zum Roten Meer hin. In Hunderten enger Kurven werden 2.500 Höhenmeter auf rund 70 Streckenkilometern überwunden. Sollten sich die Pläne der Regierung erfüllen, so kann man diese Tour schon bald wieder mit der einst legendären Eisenbahn zurücklegen. „Three seasons in two hours“ wirbt Eritrea um Touristen. Spätestens in der Küstenebene bekommt der Reisende auch die Nachteile solcher Vielfalt zu spüren. Im Sommer steigen die Temperaturen in der Hafenstadt Massawa über 45 Grad. Luftfeuchtigkeit über 90 Prozent macht puristische Selbsterfahrungen zum echten Abenteuer. Auch Tauchtouren in die ökologisch unbelastete und einmalige Unterwasserwelt des Dahlak-Archipels können zur falschen Reisezeit eine Tortour werden. Massawa selbst ist wie geschaffen für eine neue TV-Serie über Sindbads Heimathafen. Die zum Unesco-Weltkulturerbe ernannten Altstadtgebäude wurden in Jahrhunderten osmanisch-ägyptischer Herrschaft aus Korallenstein erbaut. Zwar gelang es der äthiopischen Luftwaffe 1991 innerhalb weniger Tage, einiges davon zu zerstören, doch wie überall im Land wird auch hier wieder aufgebaut.

Im Norden und Westen beginnt hinter dem Handelsplatz Keren das unwegsame Afrika. Eine nur mit geländegängigen Autos befahrbare Piste führt nach Nacfa, den ehemaligen militärischen Rückzugsraum der EPLF (Eritrean Peoples Liberation Front). Auch ohne die jüngste Vergangenheit ist diese Tour ein besonderes Erlebnis. In den weiten trockenen Ebenen des Westens konzentriert sich das Leben entlang der großen, periodisch mit Wasser gefüllten Flußtäler. In dieser überwiegend von Nomaden besiedelten Region findet man afrikanisches „Wildlife“.

Breite Vielfalt auf kleinem Raum zeichnet Eritrea gegenüber der großen Zahl an Mitbewerbern aus. Zwar gibt es in der weiteren Umgebung zu jedem eritreischen Highlight noch Superlative, doch bezüglich der großen Anzahl unterschiedlichster Möglichkeiten ist Eritrea einmalig.

Statistisch ist Eritrea eines der ärmsten Länder der Welt. Dreißig Jahre kämpfte die EPLF gegen die äthiopischen Besatzer einen blutigen Krieg. Mit dem Untergang der Sowjetunion versiegte dann aber auch die Kraft von Mengistus sozialistischem Äthiopien, und die technisch überlegene äthiopische Armee hatte den hochmotivierten Eritreern nichts mehr entgegenzusetzen. 1991 kam der endgültige Sieg, und zusammen mit der TPLF (Tigray Peoples Liberation Front) stürzten sie das Regime in Addis Abeba.

„Eritrea is free“, jubelten die 3,5 Millionen Eritreer und stimmten beim Unabhängigkeitsreferendum 1993 fast einstimmig für die Eigenstaatlichkeit. Nun muß das Land auch den Frieden gewinnen. Eine im Krieg stark beschädigte Infrastruktur und die wenigen noch vorhandenen Produktionsanlagen aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts sind keine gute Ausgangsvoraussetzung für eine Integration in die internationale Weltwirtschaft. Trotz geringer Finanzmittel möchte die aus der Befreiungsbewegung hervorgegangene Regierung ausländische Hilfsangebote nur in geringem Maße annehmen. Zu tief sitzt die bittere Erfahrung des Krieges, als keine Macht der Welt die eritreische Sache unterstützte. Das daraus entwickelte Vertrauen auf die eigene Kraft macht es heute vielen Hilfsorganisationen schwer, als „guter Onkel“ aufzutreten und mit oft sinnlosen Projekten die Lethargie der Mittellosen zu betonieren.

Tourismusministerin Woku Tesfamicael möchte aus den Erfahrungen und Fehlern anderer lernen. Ein Phönix aus der Asche – selbst die Weltbank sieht in ihren Untersuchungsberichten zu Eritrea einen der vier großen Wirtschaftszweige des Landes im Bereich Tourismus. Andere Propheten wünschen sich in Eritrea ein visionäres Modell eines sozial- und umweltverantwortlichen Tourismus.

Der Schweizer Professor Jost Krippendorf ist einer der bekanntesten Apologeten eines sanften Tourismus. Das „Schweizerische Unterstützungskomitee für Eritrea“ (SUKE) vermittelte ihn 1993 dem eritreischen Ministerium für Tourismus als Berater.

1993 fand auch die erste nationale Tourismuskonferenz Eritreas statt. Der Gegenpart zu Krippendorfs Idee eines sanften Tourismus hatten israelische Tourismusexperten. Ihr Vorschlag: nach dem Vorbild von Eilat am Roten Meer entlang der Küste Eritreas zehn bis zwanzig Fremdenverkehrszentren zu errichten, in denen dann 10 bis 15 Prozent der eritreischen Bevölkerung Beschäftigung fänden. Krippendorf schlug vor, zunächst die schon vorhandene Infrastruktur der von der italienischen Kolonialzeit geprägten Hauptstadt Asmara zu nutzen. Dort befinden sich der einzige internationale Flughafen und die mit Abstand besten Versorgungsmöglichkeiten, das größte Gastronomie- und Kulturangebot und die Mehrheit der Hotels im Lande. Mit den entsprechenden Fahrzeugen ausgerüstet, lassen sich von dort die meisten touristischen Ziele in ein- bis dreitägigen Reisen erreichen.

Die Definition für Qualitätstourismus ist eine Gratwanderung: Liegt das Augenmerk auf der Ökologie oder der nachhaltigen Ökonomie, auf der soziokulturellen Integrität oder den Qualitätsansprüchen der Kunden – oder geht es nur darum, die Konkurrenz durch geschickte Propaganda ins Abseits zu stellen? In Eritrea möchte man den Tourismus auf jeden Fall zu einem wichtigen Wirtschaftszweig ausbauen; so sanft, wie das eben möglich ist. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum Krippendorf als Berater keinen großen Einfluß mehr hat. Heute führt er in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Weltwoche Reisegruppen nach seinen Vorstellungen durch Eritrea – zum stolzen Preis von etwa sechstausend Mark für sechzehn Tage.

„Wir sind Anfänger in der Tourismuswirtschaft und müssen noch viele Dinge lernen, die anderen oft als selbstverständlich erscheinen“, erklärt Goitom Asghedom, PR- Chef des Tourismusministeriums. Als verbindliche Rahmenplanung wird nun ein Masterplan für die nächsten zwanzig Jahre touristischer Entwicklung erstellt. Er entsteht in Zusammenarbeit des Tourismusministeriums mit der WTO (World Tourism Organization) und der britischen Consultant- Firma ESG (European Studies Group). Die UNDP (United Nations Development Programme) finanziert das Projekt mit rund 700.000 US-Dollar.

Schwerpunkte sind der Tauchsport und Studienreisen. Geld für den Bau entsprechender Einrichtungen nach internationalem Standard ist jedoch nicht vorhanden. Ausländische Investoren zeigten bereits Interesse. Dennoch gibt es bis jetzt nur wenige Ausländer, die entsprechende Lizenzen erhalten haben. Gerüchten zufolge werden in Asmara derzeit mehrere Luxushotels geplant. Ob die Nachfrage nach solchen Einrichtungen kurz- oder langfristig bestehen wird, ist fraglich.

Noch gibt es wenige Touristen in Eritrea. Besucher sind vor allem Exileritreer auf Heimaturlaub und Mitarbeiter internationaler Organisationen und ausländischer Firmen (sogenannte „Expatriates“). Das fehlende flächendeckende Netz akzeptabler Unterkünfte in den entlegenen Regionen macht das ohnehin beschwerliche Reisen nicht einfacher. Gerade damit könnten aber mit wenig Geld die Grundsteine für ein weitgefächertes Angebot im Bereich Outdoor, Kultur und Studienreisen geschaffen werden, und es existiert bereits ein interessantes Konzept von MITIAS/ERRA (eritreische Hilfsorganisation von ehemaligen EPLF-Fightern). Unter dem Label „Fighter Hotels“ sollen im ganzen Land einfache Unterkünfte mit Zimmern verschiedenen Komforts errichtet werden. Betrieben werden sollen diese von den Veteranen der EPLF, die heute in Friedenszeiten Schwierigkeiten mit der Integration in die zivile Gesellschaft haben. Bauplätze und Unterstützervereine vor Ort existieren bereits; allein es fehlt das Geld. Dabei wären solche Programme den wirtschaftlichen Gegebenheiten des Landes angepaßt und könnten in bestehende soziale Strukturen integriert werden. Nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“ wäre bei erfolgreicher Umsetzung auch der Volkswirtschaft gedient, ohne sich in hohem Maße von ausländischem Kapital abhängig zu machen.

Der Gegenpol dazu ist ein auf der Massawa vorgelagerten Insel „Dahlak Kebir“ geplant: die Errichtung eines 200 Millionen US- Dollar teuren Großprojekts durch eine amerikanische Investmentgesellschaft. Tourismus wie gehabt: Mitten im sensiblen Ökosystem des zukünftigen Marinen Nationalparks gelegen, stellt die Ver- und Entsorgung der Urlauber ein Problem dar, ganz zu schweigen vom geplanten Golfplatz auf der nahezu grundwasserlosen Insel. Für den Müßiggang der Zielgruppe – wohlhabende Bewohner der arabischen Halbinsel – soll zudem ein Kasino für das profitable „non-muslim amusement“-Geschäft errichtet werden. Bei einem Staatshaushalt von rund 350 Millionen US-Dollar 1995 stellt ein Investitionsvolumen von 200 Millionen US-Dollar sicherlich ein gewichtiges Argument dar. Allerdings: Die Regierung stellt die Infrastruktur.

„We don't want mass tourism – we want quality tourism“ lautet das Credo der Verantwortlichen. Und ob dieser in hermetisch abgeschlossenen Luxusoasen mit „non- muslim amusement“ oder sozial- und umweltbewegten Kleingruppen verwirklicht wird, darüber streiten sich die Geister.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen