: Mischung statt Ausgrenzung
■ In einer Schwerpunktnummer der Szene-Zeitschrift "Interim" wird nicht nur die Stadtentwicklung kritisiert, sondern auch eine autonome Standortbestimmung versucht
Was wird aus Berlin? Diese Frage treibt nicht nur die Chefplaner in den Senatsetagen um, sondern auch die linksradikale Szene der Stadt. Das vorläufige Ergebnis ist nun in der ersten Sondernummer der Szenezeitschrift Interim nachzulesen.
Unter dem Titel „Schwerpunkt Stadtentwicklung“ finden sich unter anderem Texte zu den Themen Globalisierung, Urbanismus und öffentlicher Raum, feministische Kritik an Wohnungspolitik, Stadtplanung, Migration und Sicherheit. Das eigentlich Überraschende ist dabei nicht nur die inhaltliche Qualität der Theoriearbeit, sondern auch die selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in der „postfordistischen Umstrukturierung der Stadt“.
Auch die Autonomen, heißt es in einem Text mit dem Titel „Die Zeiten mutieren und wir motivieren uns in ihnen“, seien die Protagonisten dessen gewesen, was sie heute Postfordismus schimpften. „Unser Lebenskonzept war Veränderlichkeit, wechselhaftes Berufsleben, flexible Arbeitszeiten, ständiges Lernbedürfnis, Verzicht auf die Rente, Pausen in der Erwerbsarbeit, Arbeit auch für wenig Geld...“ Soll man deshalb, wird die Frage gestellt, nun das verteidigen, was war?
Die neue Nachdenklichkeit der Autoren und das ausdrückliche Ziel, nicht den Teufel an die Wand zu malen, macht den Blick frei auf eine differenzierte Betrachtung vergangener und gegenwärtiger Stadtentwicklung. So findet der Fassadenstreit am Pariser Platz ebenso Eingang in den linksradikalen Diskurs wie die Sorge um den Erhalt des Palasts der Republik oder das Weiterbestehen der 23 Bezirke, denen immerhin ein hoher Grad an Identifikation der Bevölkerung und ein relatives Maß an eigener Kompetenz bescheinigt wird.
Aber auch die Debatte um die „Revitalisierung der Innenstädte“ entschlüpft dem bisherigen Diskussionsstand unter dem Motto „Kampf der Umstrukturierung“. Zwar wird dem Leitbild der neuen „Urbanität“ das Ziel einer „handfesten Ausgrenzung“ attestiert, und zwar als Versuch, Stadträume unter den Chiffren des Konsums zu privatisieren.
Vor dem Hintergrund der Herausbildung räumlich segmentierter Inseln der Aufwertung oder des Verfalls ringen sich die AutorInnen der Schwerpunktnummer gleichwohl dazu durch, erstmals die soziale Mischung in den Quartieren als städtebauliche Qualität anzuerkennen. In Frage gestellt wird schließlich auch die bisherige Nabelschau: „Reine Identitätspolitik“, so heißt es, „führt wahrscheinlich zu abgegrenzten Communities, die es dann sehr schwer haben, miteinander zu kommunizieren“.
„Weil die Zukunft noch immer ungeschrieben ist, bleiben vor allem Fragen“, heißt es programmatisch am Ende der Textsammlung. Das betrifft auch die politische Praxis. Zwar gibt es einige Vorschläge zur Imagebeschädigung oder zur nachhaltigen Störung hauptstädtischer Inszenierung etwa bei Richtfesten, aber auch hier bleibt (trotz des Abdrucks eines Bekennerschreibens samt Anleitung zum Bau von Brandsätzen) am Ende die entscheidende Frage: „Können wir uns neuen politischen Ideen und neuen Politikformen öffnen und die Option auf Militanz und illegale Strukturen behalten?“ Uwe Rada
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