Das Wagnis Jugend

■ Mit der deutschen Erstaufführung von Nicky Silvers "Fette Männer im Rock" probt die Baracke des DT den Neubeginn

Achtung Baracke“ ist auf den Programmzetteln zu lesen. Das klingt ein bißchen nach Volksbühnen-PR und ist doch auch ein wenig Programmatik. Die Baracke, so verkündet Intendant Thomas Langhoff, wird künftig „Experimentierbühne“ sei. „Ein Wagnis“, gibt er zu, aber ein notwendiges.

Mit immer weniger Produktionen im großen Haus und in den Kammerspielen sinke auch die Möglichkeit, Neues zu probieren und den Nachwuchs zu fördern. Konkurrenz im eigenen Theater will man zwar nicht, aber „eine künstlerische Opposition“ erhofft sich der Hausherr schon, und vielleicht gibt das Projekt dem DT auch jene innovativen Anstöße, die es derzeit bitter nötig hat.

Zwar hatte Kultursenator Radunski bei der Vorstellung seines Sparpaketes betont, daß sich die subventionierten Theater auf ihre „Kernaufgaben“ zu konzentrieren hätten, und meinte damit ausdrücklich den Prater der Volksbühne und die Baracke. Doch davon will man sich in der Schumannstraße nicht beeindrucken lassen. Die Anschubfinanzierung für den Umbau der Räumlichkeiten („in sechsstelliger Höhe“) leisten die „Freunde und Förderer des Deutschen Theaters und der Kammerspiele e.V.“. Die Schering AG stiftete einige ausrangierte Bürocontainer, die nun als Foyer und Toilettengebäude fungieren.

Für die künstlerische Leitung der Baracke hat man sich für die beiden ehemaligen Schüler der Ernst-Busch-Hochschule Thomas Ostermeier und Jens Hillje (beide Jahrgang 1968) entschieden. Nach ihrer Vorstellung soll der Ort zu einem Freiraum werden für künstlerische Experimente und interdisziplinäre Begegnungen – vom Tanz über bildende Kunst bis Streitkultur. Ostermeier, in dem viele bereits den kommenden Regiestar sehen, wird seine mit einem Artaud-Projekt begonnene Auseinandersetzung mit Theaterreformern und deren Theorien fortsetzen.

So wird er im Mai Brechts „Mann ist Mann“ auf der Grundlage des biomechanischen Systems Karl Theodor Meyerholds inszenieren. Zuvor widmet er sich „Messer in Hennen“, einem Stück des jungen schottischen Autoren David Harrower. Christian von Treskow bereitet ein Projekt über den Psychiater und Dichter Panizza vor. Die Voraussetzungen für das Team um Ostermeier und Hillje scheinen bestens: Ihnen stehen die strukturellen Möglichkeiten des DT-Theaterapparates zur Verfügung, gleichzeitig wird ihnen eine relativ autonome Arbeitsweise garantiert.

Die erste Inszenierung in der Baracke ist jedoch kein Experimentalprojekt, sondern führt zunächst einmal die Tradition zeitgenössischer Dramatik in dieser nach dem Umbau wesentlich geräumigeren und vielseitig bespielbaren Bühne weiter. „Fette Männer im Rock“ ist nach „Pterodaytuls“ (am carrousel-Theater) bereits die zweite Inszenierung eines Stücks des New Yorker Off-Stars Nicky Silver in Berlin. Und wieder ist es eine Groteske, die den Dialogwitz des Boulevardtheaters nutzt, um grausige, konfuse Alptraumgeschichten zu erzählen.

Phyllis und ihr Sohn Bishop (Bernd Stempel) haben als einzige einen Flugzeugabsturz überlebt. Da stehen sie nun am Strand einer einsamen Insel, und Phyllis Klagelied gilt den ramponierten Gucci- Schuhen: „Total hinüber!“ Der elfjährige Bishop steckt noch in der Schuluniform, ein nerviger, stotternder Junge, mit einem ausgesprochenen Faible für Katharine Hepburn. Während die beiden ihr neues Leben auf diesem Halbrund aus Sand (Bühne: Volker Theile) einrichten, vergnügt sich Vater Hogan (Michael Schweighöfer) zu Hause bereits mit einer anderen und feiert das Unglück als preisgünstige Version der Scheidung.

Fünf Jahre vergehen, Mama und Sohn Hogan haben sich auf der Insel eingewöhnt – und auch etwas verändert. Ein Robinson- Crusoe-Idyll, wären da nicht die rauhen Sitten des inzwischen zum brutalen Macho gewachsenen Bishop, der seine Mutter und nunmehr Bettgefährtin lässig „Kotzpille“, „Matschbirne“ und „Pißnelke“ nennt, sowie die Tatsache, daß Menschenfleisch inzwischen zum festen Speiseplan gehört. Auch nach Rettung und Rückkehr hat weder der Inzest noch das Gemetzel ein Ende. Erst muß Vaters Geliebte Pam (Cathlen Gawlich), ein Dumm-Blondchen mit Minnie- Maus-Stimme, dran glauben, dann sind Papa und Mama und noch einige Dutzend wildfremder Menschen an der Reihe.

Nicky Silver gibt der modernen Familie nur geringe Überlebenschancen. Thomas Ostermeiers Inszenierung dieser ödipalen Komödie beginnt lässig und vielleicht etwas zu langsam, aber mit genüßlich ausgespieltem schwarzen Humor. Da macht vor allem Astrid Meyerfeld als Phyllis eine gute Figur: eine Upper-Middle-Class-Lady, die in jede Sitcom passen könnte. Nach dem Familiengemetzel plätschert das Stück in einem konfusen Akt in der Nervenheilanstalt aus; diese dramaturgischen Verirrungen Silvers bekam dann auch Ostermeier nicht mehr ganz gebändigt. Der absurde Spaß jedoch hat nur wenig darunter gelitten. Axel Schock

Weitere Vorstellungen am 5., 21., 22. und 25.12., 21 Uhr, Schumannstraße 10