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Olympia war hier

1968 fanden die Winterspiele in Grenoble statt  ■ Von Frank Seidel

Grenoble war in den letzten Jahren hierzulande eigentlich nur dann in den Medien vertreten, wenn der Prozeß um seinen wegen Korruption angeklagten Ex-Bürgermeister in eine neue Verhandlungsrunde ging. Alain Carignon ist mittlerweile rechtskräftig verurteilt, und so wird es wohl wieder still werden um die größte Stadt im französischen Alpenraum. Denn der sportliche Ruhm von 1968, als hier die 10. Winterolympiade ausgetragen wurde, ist verblaßt. Die Wettkampfstätten von einst sind abgebaut, verfallen oder kaum noch als solche zu erkennen.

In Grenoble selbst fanden neben den Eröffnungs- und Schlußfeiern nur die Eislaufkonkurrenzen statt. Die damaligen Austragungsorte im zentral gelegenen Parc Paul Mistral werden auch heute noch genutzt, allerdings muß man schon den Reiseführer wälzen, um zu wissen, daß dort einmal um Gold, Silber und Bronze gerungen wurde. Die Eishalle ist, wie nicht anders zu erwarten, ihrer Vergangenheit treu geblieben und beherbergt heute den Eishockey- Erstdivisionär „Bruleurs de Loups“. Im benachbarten „Palais des Sports“ dagegen wird nur noch ausnahmsweise eine Eisfläche installiert. Wo damals die Eiskunstlauf-Wettbewerbe stattfanden, bestimmen heute Hallensportarten, allen voran das jährliche Sechstagerennen, das Programm. In der unter freiem Himmel gelegene Eisschnellaufbahn „Anneau de Vitesse“ treffen sich heute die Inline- Skater auf einer Asphaltpiste.

Vom damaligen Spektakel haben lediglich die Wintersportorte profitiert, in denen die alpinen beziehungsweise die Langlauf-Wettbewerbe stattfanden. Chamrousse, der Hausberg der Grenobler, ist seit den Spielen zu einer mittelgroßen Skistation mit an die 40 Pisten herangewachsen. Zwei Strecken mit dem Namen „Abfahrt Herren“ und „Abfahrt Damen“ erinnern noch an die Wettbewerbe vor 28 Jahren. Jedes Wochenende klettert eine wahre Autolawine aus der Metropole die 1.400 Höhenmeter zur Talstation empor, denn Busse gibt es nur wenige und wenn, dann zu hohen Preisen. Überhaupt nimmt man es in der gesamten Region mit umweltfreundlichem Skitourismus nicht so genau. Schneekanonen gehören überall zum Standard, und neue Pisten schlägt man schon mal gerne durch den Bergwald.

Die nordischen Disziplinen fanden im benachbarten Vervors- Massif statt. Villard-de-Lands und Corrençon zeichneten für die Langlaufkonkurrenzen verantwortlich und bieten in der Region mit 160 Kilometer ausgewiesenen Loipen heute die meisten Langlaufmöglichkeiten. Für Naturliebhaber gehört die „Grande Traversée du Vercors“ mit Start in Corrençon zum Pflichtprogramm. In zwei bis drei Tagesetappen kann man dabei abseits gespurter Loipen das größte Naturschutzgebiet Frankreichs durchwandern. Während Langläufer voll auf ihre Kosten kommen, haben Skispringer das Nachsehen: Die Sprungschanze in St. Nizier-de-Moucherotte blieb eit Olympia 68 sich selbst überlassen.

Ahnlich erging es dem Im ehehemaligen olympische Dorf am Grenobler Stadtrand. Hier sollten nach dem Abzug der Sportler Angehörige aller Bevölkerungsschichten in quasi olympischer Eintracht zusammenleben. Recht bald drehte das Bildungsbürgertum diesem Konzept jedoch den Rücken, und in die billigen Wohnungen zogen vermehrt sozial Schwache ein. Heute findet man im „Village Olympique“ den sozialen Sprengstoff der französischen Banlieus: hoher Arbeitslosen- und Immigrantenanteil, Jugendkriminalität, Drogenprobleme. Das Studentenwerk rät Austauschstudenten ab, dort eine Wohnung zu beziehen. Vom olympischen Glanz ist nicht viel geblieben.

Alternative Führungen zu den Schauplätzen des Winters 68 gibt es noch nicht, aber Informationen bei: Comité Départemental de Tourisme, 14 rue de la République, B.P. 227, F-38019 Grenoble Cedex, Tel.: (0033) 76543436

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