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Schöne Salti im verborgenen

Auch der Medienrummel um den fehlenden Badeanzug von Annika Walter verhalf den Meisterschaften im Kunstspringen nicht zu mehr Publikum  ■ Aus Karlsruhe Frank Ketterer

Dafür, daß Annika Walter sich dem Turmspringen widmet, war von der jungen Sportlerin in den letzten Wochen und Tagen recht häufig zu lesen, zu hören und zu sehen. Die Medien haben die Olympiazweite aus Rostock für sich entdeckt, was seinen Grund allerdings weniger in den schönen Salti und Schrauben hat, die die 21jährige Schülerin aus Rostock in Atlanta drehte, als vielmehr in den schönen Fotos, die der Playboy in seiner Dezemberausgabe auf fünf hochglänzenden Seiten von der hübschen Frau zeigt. Und auch die Geschichte, wie es zu den schönen Fotos kam, ist einigermaßen interessant weil irgendwie typisch dafür, wie wenig diese Sportart in Deutschland gemeinhin beachtet wird.

Die Sache mit dem Playboy kam nicht von alleine ins Rollen; Annika Walter mußte kräftig nachhelfen. Was sie in einem Interview gleich nach den Olympischen Spielen tat. Sie würde sich durchaus geschmeichelt fühlen, wenn der Playboy auf sie zukäme, hatte sie da gesagt, mehr aus Spaß, wie sie heute erklärt. Nun sind die Fotos raus – und Annika Walter ist auf einmal ziemlich bekannt; sogar das ZDF lud sie vorletzten Samstag ins Aktuelle Sportstudio ein, und das, obwohl weit und breit kein Wettkampf stattfand, den sie hätte gewinnen können.

Der Alltag von Annika Walter und ihren Kolleginnen und Kollegen sieht meist anders aus, viel verborgener, fast schon geheim. So wie bei den deutschen Mannschaftsmeisterschaften im Kunstspringen, die am Wochenende stattfanden. Kaum ein Reporter hatte sich ins Karlsruher Fächerbad verirrt, geschweige denn ein Kamerateam. Die Sportlerinnen und Sportler sind sich bei solch nationalen Titelkämpfen meist selbst Publikum, die Ausrichter glücklich, wenn hin und wieder ein Funktionär zu einem Pflichtbesuch vorbeischaut.

Ursula Klinger, die Bundestrainerin, hat sich daran längst gewöhnt, auch wenn sie es immer noch schade findet. Vielleicht bewundert sie Annika Walter, die in Karlsruhe nicht am Start war, und ihren Mut, sich nackt ablichten zu lassen, gerade auch deshalb. „Annika hat das gute Recht, aus ihrem sportlichen Erfolg etwas zu machen“, sagt die Bundestrainerin, und nicht wenige in der Szene denken genauso. Was Ursula Klinger allerdings stört, ist der Umstand, daß es in letzter Konsequenz der Nacktfotos bedarf, um in diesem Sport so bekannt zu werden. Wäre es bei Annika Walter gelaufen wie bei ähnlich erfolgreichen Springerinnen vor ihr, dann hätte sich schon vier Wochen nach Atlanta kaum noch jemand an ihren Namen erinnert und schon gar nicht dafür bezahlt. Erfolg hin, Erfolg her.

Dabei ist Ursula Klinger fest davon überzeugt, daß es genügend Produkte gibt, für die ihre Sportler und Sportlerinnen werben könnten, um so einen finanziellen Ausgleich für die enormen Trainingsmühen zu erhalten, ein bißchen mehr jedenfalls, als sie die staatliche Sportförderung bieten kann. Nicht daß sich die Bundestrainerin über die Verhältnisse ihrer Sportart in Deutschland beschweren möchte, ganz im Gegenteil. Die Trainingshallen in den Bundesleistungszentren in Ostdeutschland sollen nach und nach saniert werden; bis das soweit ist, habe man zwar eine Durststrecke zu überwinden, „danach aber“, sagt Ursula Klinger, „stehen wir mit guten Möglichkeiten da“.

Im internationalen Vergleich aber wird es dennoch zusehends schwerer gegen die übermächtige Konkurrenz vor allem aus China bestehen zu können. Dort greift ein durch und durch totalitäres Sportfördersystem, dessen alleiniges Ziel der sportliche Triumph ist. Zwei zweite Plätze bei Olympia, wie in Atlanta durch Annika Walter und Jan Hempel, sind für Ursula Klinger schon ein „optimales Ergebnis“. Und dennoch glaubt die Bundestrainerin, daß „wir immer wieder junge Leute haben werden, die für Überraschungen sorgen können“. Notfalls auch im Playboy.

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