: RAF-Fahnder jagen Phantome
■ Mit Sabine Callsen und Barbara Meyer wollen sich zwei angebliche RAF-Mitglieder den Behörden stellen
Berlin (taz) – Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft stehen vor ihrer wohl größten Fahndungsschlappe. Nach Christoph Seidler wollen sich jetzt zwei weitere als angebliche Mitglieder der Rote Armee Fraktion zur Fahndung ausgeschriebene Personen den Behörden freiwillig stellen.
Die bundesweit seit mehr als zehn Jahren ausgehängten Fahndungsplakate des BKA erweisen sich immer mehr als Makulatur und als reines Wunschdenken der Fahnder: Bei mindestens vier der dort abgebildeten sieben Personen fehlt offensichtlich jede Grundlage für die Haftbefehle. Die Beamten des hochgerüsteten Sicherheitsapparates müssen eingestehen, seit elf Jahren über die sogenannte „dritte Generation der RAF“ so gut wie nichts zu wissen. Stichhaltige Indizien dafür, wer an den Mordanschlägen der RAF nach 1985 beteiligt war, liegen den Behörden in keinem Fall vor.
Der Spiegel nennt in seiner neuesten Ausgabe erstmals die Namen zweier Frauen, die wie Seidler mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Unrecht seit Jahren auf den Fahndungsplakaten des BKA als RAF-Aktivisten geführt werden. Es handelt sich um die 35jährige Sabine Callsen aus Hamburg und um die 40jährige Barbara Meyer aus Fellbach bei Stuttgart. Nach beiden wird mit Haftbefehl vom Dezember 1985 international gefahndet.
Die Bundesanwaltschaft beschuldigt Sabine Callsen der Mitgliedschaft in der RAF. Sie soll darüber hinaus an zwei Sprengstoffanschlägen auf die Firmen „Internationale Schiffs-Studiengesellschaft“ und „Project-Management-Office“ in Hamburg am 4. April 1985 beteiligt gewesen sein.
Barbara Meyer wird ebenso eine RAF- Mitgliedschaft vorgeworfen. Sie soll auch an einem Überfall auf einen Geldboten in Kirchenstellingsfurt bei Tübingen am 3. Juni 1985 teilgenommen haben.
Die beiden Frauen, heißt es im Nachrichtenmagazin, wollten nun abwarten, wie sich der Fall Seidler weiter entwickelt. Seidler, der jahrelang wegen des Mordes an dem Bankier Alfred Herrhausen gesucht worden war, hat sich am 22. November in Karlsruhe den Behörden gestellt und dabei erklärt, weder am Herrhausen- Mord beteiligt noch jemals Mitglied der RAF gewesen zu sein. Seine Angaben waren zuvor von einem Mitarbeiter des Kölner Verfassungsschutzes gegenrecherchiert und bestätigt worden.
Der 38jährige Seidler wurde nach seinem Gang nach Karlsruhe von einem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof rund zehn Stunden lang vernommen. Anschließend hob der Ermittlungsrichter den Haftbefehl auf, er verneinte einen dringenden Tatverdacht gegen Christoph Seidler.
Auch die als RAF-Frau gesuchte Andrea Klump (39) soll zu keiner Zeit Mitglied der Untergrundgruppe gewesen sein. Klump war wie Seidler von dem dubiosen Kronzeugen Siegfried Nonne beschuldigt worden, an dem Attenat auf Herrhausen am 30. November 1989 beteiligt gewesen zu sein. Nonnes Aussagen sind nun aber mit dem Auftauchen Seidlers und den Recherchen des Kölner Verfassungsschutzes perdu. Auch das inhaftierte frühere RAF- Mitglied Eva Haule bestätigte in einer Vernehmung, weder Seidler noch Klump seien nach ihrem Abtauchen in die Illegalität zur sogenannten Kommandoebene der RAF gestoßen. Haule hatte auch erklärt, das gleiche treffe auf weitere Personen zu, die von der Bundesanwaltschaft den Militanten im Untergrund zugerechnet würden.
Der Spiegel berichtet weiter, der Kölner Verfassungsschutzmitarbeiter mit dem Decknamen „Hans Benz“ habe bereits einen Kontakt zu Andrea Klump aufgenommen. Klump, die in Peru leben soll, wolle aber nach Angaben des Bundeskriminalamtes aus „persönlichen Gründen“ nicht in die Bundesrepublik zurückkehren. Nach Informationen der taz ist ein solcher Kontakt des Verfassungsschutzes aber noch nicht zustande gekommen. Wolfgang Gast
Kommentar Seite 10
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