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■ Gespräch mit Alfred Grosser über Dublin, den Euro und die Turbulenzen im deutsch-französischen Verhältnis„Die Deutschen brauchen Götter“

taz: Je näher der Euro rückt, desto nationalistischer wird die Stimmung. Ist Europa reif für die gemeinsame Währung?

Alfred Grosser: Es wird reif, wenn in Dublin herauskommt, daß die Regierungskonferenz mehr tut, als das deutsch-französische Papier vom Wochenanfang enthält. Der Euro ist nur gut eingebettet, wenn es auch solidere politische Strukturen gibt.

Was fehlt an der jüngsten deutsch-französischen Initiative?

Paris und Bonn waren unfähig, sich auf eine gemeinsame Position festzulegen, die dann von anderen akzeptiert oder abgelehnt würde.

Warum war nicht mehr drin?

In letzter Zeit ist Erstaunliches geschehen: Paris möchte, daß der Euro mehr mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik zu tun hat. Das war nicht so sehr Mitterrands Wunsch gegenüber Kohl. Nun sieht es so aus, als wolle Deutschland dies überhaupt nicht. Deutschland will strikte Korsettstangen. Strikte Regeln, die sagen: Hier wird bestraft, wer die Stabilitätskriterien nicht einhält. Unpolitischer kann man nicht denken.

Sitzen die Bremser der Währungsunion in Deutschland?

Das ist komplizierter. In Deutschland ist Herr Stoiber gegen die gemeinsame Währung. Er stellt Bedingungen, damit sie unmöglich wird. Er denkt dabei an den bayerischen Wahlkampf, wo die Stimmung gegen den Euro ist. In Frankfurt sieht das anders aus. Herr Tietmeyer glaubt – nicht zu Unrecht –, daß es Bedingungen geben muß.

Wer sollte die Bedingungen auferlegen?

Ich bin nicht sicher, ob das die Bundesbank tun soll. Vor allem nicht in dieser belehrenden Tonart. Tietmeyer sollte daran denken, daß die finanzpolitischen Entscheidungen der deutschen Vereinigung nicht von der Bundesbank festgelegt wurden, sondern von den Politikern: eine Mark West gleich eine Mark Ost. Die Bundesbank hat sich dem gefügt, auch wenn Herr Pöhl dann gegangen ist.

Steckt dahinter nicht der hohe Symbolwert der Mark?

In der öffentlichen Meinung in Deutschland ist die gemeinsame Währung an einem Nullpunkt angelangt. Man glaubt, daß nur eine ganz harte Mark etwas Gutes ist. Dabei wissen heute die deutschen Exporteure, daß sie mit einer etwas weicheren Mark besser dran wären. Die Deutsche Mark ist mehr als ein Symbol. Die Deutschen brauchen Götter. Marx ist nicht mehr da, dafür gibt es jetzt Macht und Markt.

Wie erklären Sie die französische Opposition gegen den Euro?

Es geht auch in Frankreich um Symbole, um die der Souveränität. Der Franc ist heute weniger mächtig, als wenn es eine gemeinsame Währung gäbe. Er wird eine Scheinsouveränität verlieren. Da setzt die Kritik von Links- und Rechtsnationalisten ein.

Das deutsch-französische Verhältnis ist im Moment etwas absonderlich. In Deutschland heißt es: „Wir wollen an sich die gemeinsame Währung nicht, aber das ist der Preis, den wir an Frankreich zahlen müssen.“ Hier heißt es: „Wir wollen an sich die gemeinsame Währung nicht, aber das ist der Preis, den wir an Deutschland zahlen müssen.“ Etwas stimmt da nicht.

Warum kritisiert jetzt auch der einstige Wegbereiter Europas, Ex- Präsident Valéry Giscard d'Estaing die gemeinsame Währung?

Er hat damit erreicht, daß man wieder auf ihn hört. Ultranationalistisch tönt er, der Sinn Europas sei es, Frankreich mehr Einfluß zu geben. Und die französischen Interessen seien die wesentlichen.

Wie klar ist Chiracs Position?

In den 70er Jahren war er Ultranationalist und klagte, die Nation werde an Europa oder Deutschland verraten. Heute ist es umgekehrt. Jetzt klagt Giscard, daß Chirac sich Kohl unterwerfe. Es gibt eine Bekehrung von Chirac zu der gemeinsamen Währung.

Ist das Kohls Verdienst?

Teilweise. Aber Chirac sagt überall das Gegenteil von dem, was er im Wahlkampf gesagt hat. Keine Regierung hält ihre Versprechen. Aber Chirac hält den Europarekord.

Die Europadebatte spitzt sich auf die deutsch-französischen Beziehungen zu. In Paris leben alte Ressentiments wieder auf. Wie fest ist die Freundschaft?

Persönlich gebrauche ich das Wort „Freundschaft“ nie. Man ist nüchtern zusammen, und das geht sehr weit. Zum Beispiel hat der Direktor von Le Monde dieses Jahr ein Buch über die französischen Politiker geschrieben. Alle werden kritisiert, nur einer wird gelobt, der heißt Helmut Kohl und wird dargestellt als Bestandteil der französischen Innenpolitik. Kohl ist in Frankreich beliebter als in Deutschland. Keiner kann in Frankreich Präsident werden, wenn er nicht als Freund von Helmut Kohl dasteht.

Warum dreschen dann alle auf Tietmeyer ein, obwohl der französische Zentralbankchef Trichet der selben währungspolitischen Lehrmeinung anhängt?

Weil man glaubt, daß Trichet Tietmeyer folgen muß, ganz gleich, was Tietmeyer auch sagt. Tietmeyer verkörpert, daß die eigentliche Währungsmacht in Europa die Bundesbank ist. Deshalb wird er so hart kritisiert. Niemand will sehen, was den Deutschen angst macht: daß die Europabank stärker wird als Tietmeyer. In Deutschland wird das befürchtet, in Frankreich von vielen erhofft.

Benutzt Frankreich Europa als Sündenbock, um prekäre Projekte wie den Abbau des Staatsdefizits durchzusetzen?

Beide Regierungen, Kohl und Chirac/Juppé, benutzen Europa als Sündenbock. Beide Länder sind glücklicherweise noch solidarische Gesellschaften. Es gibt zwar Millionen Arbeitslose, aber denen geht es einzeln besser als 1931. Aber das hat einen hohen Preis. Heute leben die Leute länger als früher. Das ist schön, hat aber auch einen hohen Preis. Beides, die hohe Arbeitslosigkeit und die gestiegene Lebenserwartung, zwingen zu neuer Sozialpolitik. Da ist es bequemer zu sagen: Das ist die Schuld von Europa.

Was wird aus den deutsch-französischen Beziehungen, wenn der Euro scheitert?

Erstens: In beiden Ländern wird die Mehrheit erleichtert sein. Zweitens: Man wird sagen, der andere sei schuld, daß etwas Positives schiefgegangen ist. Drittens: Es ist keine Katastrophe, wenn der Euro verschoben wird. Katastrophal wäre aber, wenn bei der Regierungskonferenz nichts herauskommt und nichts Solides entsteht, um Europa politisch zu strukturieren. Im nächsten Jahr werden wir wahrscheinlich zum erstenmal bei der Währung einen tiefen Rückschritt haben, ohne daß von „Krise“ gesprochen werden wird. Interview: Dorothea Hahn

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