: Über die Ursache für den Absturz des TWA-Jumbos am 17. Juli wird seit Monaten spekuliert. Seit dem Wochenende ist die Öffentlichkeit um eine Version reicher: Infolge von Materialermüdung soll ein Funke den Tank zur Explosion gebracht haben
Über die Ursache für den Absturz des TWA-Jumbos am 17. Juli wird seit Monaten spekuliert. Seit dem Wochenende ist die Öffentlichkeit um eine Version reicher: Infolge von Materialermüdung soll ein Funke den Tank zur Explosion gebracht haben
Weiterfliegen, bis die Funken fliegen
Anschlag oder Altersschwäche. Auf diese Formel läßt sich seit Wochen die Diskussion um den Absturz des TWA-Jumbo 800 vor der amerikanischen Ostküste bringen. Jetzt hat das Pendel weit in Richtung Altersschwäche ausgeschlagen. Die US-Behörde für Verkehrssicherheit (NTSB) veröffentlichte am Freitag einen Bericht, in dem als wahrscheinliche Ursache für die Katastrophe ein Materialfehler genannt wird; bei dem Crash am 17. Juli diesen Jahres kamen alle 230 Insassen ums Leben. Bernhard Loeb, Direktor der Flugsicherheitsabteilung der Behörde, erklärte, es sei „zwar keineswegs sicher“, daß die Explosion durch einen solche Materialfehler verursacht worden sei. Es sei aber „sehr gut möglich“.
Die Regierungsbehörde forderte in einem Brief an die US- Luftfahrtbehörde (FAA) dringend eine Nachrüstung von mehr als 1.000 Jumbos der Firma Boeing, damit in Zukunft der Aufbau explosiver Gasgemische in den Tanks der 747 und anderer Flugzeuge des Herstellers vermieden werden könne.
Die Verkehrssicherheitsbehörde vertritt die Theorie, daß es wegen Materialermüdung und einer mangelnden Erdung eines Treibstoffrohrs zum Aufbau elektrischer Spannung gekommen sei, die schließlich den Funken für die Explosion des Haupttreibstofftanks geliefert habe. Schon kurz nach dem Unglück im Juli hatten Recherchen ergeben, daß das Gasgemisch im fast leeren Zentraltank explodiert war und damit das Flugzeug kurz nach dem Start in New York zum Absturz gebracht hatte.
Die Washington Post berichtete am Wochenende, daß durch den Zentraltank Röhren verlaufen, die den Flugzeugsprit aus einem der anderen Tanks zu den Motoren bringen. Die Außenseite solcher Rohre lade sich leicht statisch auf. Aus diesem Grunde werden die Leitungen bei den Flugzeugen geerdet, so daß die elektrische Ladung verschwindet.
Das Treibstoffrohr, das durch den Zentraltank verläuft, besteht nicht aus einem Stück, sondern aus einer Reihe von Aluminiumstücken, die zusammengeschraubt und mit Gummiringen gedichtet werden. Die Zeitung berichtete, es sei häufiger vorgekommen, daß die leitende Verbindung zwischen einzelnen Rohrstücken unterbrochen war. In diesem Fall könne sich ein Rohr aufladen, ohne geerdet zu sein (vgl. Interview auf dieser Seite). Befinde sich ein explosives Gasgemisch im Tank, sei es um den Flieger geschehen. Flugsicherheitsexperte Loeb erklärte, daß die Untersuchungskommission jetzt die Teile des Wracks untersuche, um zu überprüfen, ob dies der tatsächliche Hergang der Katastrophe sei.
Die Ermittlungsbehörden stehen unter einem ungeheuren Druck. Die Angehörigen der über 200 Opfer wollen sich nicht damit zufrieden geben, daß es noch immer keine schlüssige Erklärung für die Katastrophe gibt. Nach wie vor wird von den US-Behörden auch das Szenario einer Bombenexplosion oder eines Abschusses durch eine Rakete überprüft.
An der Küste von Long Island will eine Reihe von Augenzeugen einen Schweif wie den einer Rakete gesehen haben, der sich dem Jumbo genähert habe. Vor wenigen Wochen hatte Pierre Salinger, einst Sprecher von Präsident Kennedy, sogar behauptet, er habe Unterlagen, die belegten, daß die US- Marine den Jumbo irrtümlich abgeschossen hat. Salingers Anschuldigungen waren von den US-Behörden energisch dementiert worden. Am Wochenende wollte das FBI die Suche nach einem möglichen Attentäter aber nicht abblasen. Die Bundespolizei reagierte deutlich irritiert auf den Vorstoß der Verkehrssicherheitsbehörde. FBI-Vize James Kallstrom: „Wir ermitteln wegen einer möglichen Straftat, und da ist es weder angemessen noch klug, Meinungen zu äußern über das, was möglicherweise mit dem Flugzeug passiert ist.“
Flugzeugbauer Boeing in Seattle reagierte einstweilen gelassen auf die Vorwürfe. Firmensprecher Russ Young sagte, es sei die Grundhaltung seiner Firma, in Sicherheitsfragen lieber eine Sicherung zuviel vorzusehen. „Wir werden tun, was immer notwendig ist.“ Young wies aber darauf hin, daß die Stellungnahme der Verkehrssicherheitsbehörde nicht den Anspruch habe, die Ursache des Crashs schon gefunden zu haben. Der NTSB hatte in seiner Warnung vom Freitag allerdings deutliche Worte für den Konzern gefunden. „Ein einziger Funke an dieser Stelle kann den Verlust des Flugzeuges bedeuten.“ Diese Situation sei nicht akzeptabel: Die allgemein akzeptierte Sicherheitsphilosophie in der Luftfahrt sehe zwingend vor, daß ein einzelner Fehler nie die sichere Fortsetzung eines Fluges gefährden dürfe. Bei Militärjets, so die Experten, werde das explosive Gasgemisch in halbleeren Tanks schon lange durch Stickstoff ersetzt. Hermann-Josef Tenhagen
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