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Muß i denn zum Städtele hinaus...

Nach 22 Jahren wird heute Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel verabschiedet. Manche fragen sich, warum er überhaupt der CDU beitrat. Immer mal wieder legte er sich quer  ■ Aus Stuttgart Philipp Maußhardt

Die Fahnen in Stuttgart wehen heute auf Halbmast. Die Trauerbeflaggung gilt eigentlich dem vergangene Woche vestorbenen ehemaligen baden-württembergischen Kultusminister Wilhelm Hahn.

Der gemeine Stuttgarter aber hält sie für einen letzten Gruß an Oberbürgermeister Manfred Rommel, der heute mit einem großen Festakt aus dem Amt verabschiedet wird. Nach 22 Amtsjahren tritt das (vielleicht) bekannteste Stadtoberhaupt der Bundesrepublik zurück. Jedenfalls sind die Stuttgarter davon überzeugt, daß es einen wie Rommel noch nie gab und nie mehr geben wird.

Erwin und Manfred. Es gab viele, die die Vornamen von Vater und Sohn immer wieder verwechselt haben. Denn ausgefuchst waren sie beide. Damit hat es sich aber auch schon an Vergleichen, denn nach dem kriegerischen Erwin (Generalfeldmarschall) folgte einer der friedlichsten Menschen der Welt. Manfred Rommel konnte nicht kämpfen. Wenigstens nicht brutal. Als sein Vater, dem Kontakte zur Widerstandsbewegung angelastet wurden, im Oktober 1944 das tat, was die Nazis von ihm verlangten und sich in Hererlingen bei Ulm vergiftete, war Manfred 15 Jahre alt.

20 Jahre später war Manfred Rommel als persönlicher Referent von Ministerpräsident Hans Filbinger ausgerechnet einem Mann ergeben, der seine eigene nationalsozialistische Vergangenheit nie wirklich bereute. Rommel konnte eben mit fast allen und hatte ein großes Herz, das ließ sich schon gar nicht zwischen den Seiten eines Parteibuchs erdrücken.

Spätestens als Rommel 1977 gegen den heftigen Widerstand aus der CDU die Beisetzung der RAF- Toten Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader in einem Gemeinschaftsgrab auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof genehmigte, war klar geworden, daß dieser Oberbürgermeister nach gar keiner Pfeife tanzt. Und sein Satz, nach dem ein Schwarzafrikaner in Stuttgart zwei Polizisten erschossen hatte, blieb eingraviert: „Es hätte auch ein Schwabe sein können.“

Es hat aber nur Manfred Rommel sein können, der nach 22jähriger Amtszeit von über 70 Prozent der Stuttgarter – also quasi von allen – noch immer als beliebter Oberbürgermeister beurteilt wird. Sein furztrockener Humor gepaart mit der Unfähigkeit, auf dem jährlichen Stuttgarter Volksfest das Bierfaß anzustechen, machten vieles an Stimmung wett, was andernorts zu Krisen führte: Mit 25 Prozent Ausländeranteil nimmt Stuttgart neben Frankfurt den Spitzenplatz in Deutschland ein.

Der trockene und köstliche Kommentar, den die Stuttgarter Zeitung gestern dazu lieferte, hätte von Rommel selbst stammen können: Die Zahl der Schweine in der Stadt habe im gleichen Zeitraum prozentual noch stärker abgenommen als die der Menschen.

Oft fragte man sich bei Rommel, wieso er in der CDU ist. Er selbst erzählte einmal, daß er es selbst auch nicht wüßte. Aber Rommel glaubte sich zu erinnern, daß ihm 1953 ein Freund seines Vaters dazu geraten habe, obwohl er „genausogut in die SPD“ hätte eintreten können.

Am Ende seiner Amtszeit bleibt an ihm nur noch das „liberale“ Image haften, als einem in seiner eigenen Partei oft aneckenden Politiker: Rommel nannte Deutschland „ein Einwanderungsland“, da formulierten seine Parteifreunde in Bonn gerade die Abschiebegesetze. Trotzdem ist er politisch nie laut geworden. Ob er tatsächlich, wie er sagt, nie mehr werden wollte, als Oberbürgermeister von Stuttgart, bleibt sein Geheimnis. Jedenfalls hat er früh schon jeden Ruf aus Bonn geflissentlich überhört.

Streng genommen ist Manfred Rommel Deutschlands beliebtester zeitgenössischer Lyriker: Seine dünnen Gedichtbändchen haben Auflagen von über 100.000 Exemplaren. Manchmal sah man ihn während der Gemeinderatssitzung etwas aufschreiben. Und viele meinen, es sei nicht zum Tagesordnungspunkt gewesen. „Saudumme Akten lesa“ tat Rommel sowieso nicht gerne, was ihm die Freiheit gab, seine Meinung oft zu ändern: „Bis zu fünfmal“. Welchem Oberbürgermeister ist es je gelungen, daß seine Volksfest- Eröffnungsreden über zwei Jahrzehnte gesammelt wurden? Sie enthielten Weisheiten wie diese von 1978: „Politiker können bereits durch ein Lämpchen ersetzt werden – man braucht ja nicht überall die hellste Glühbirne hineinzuschrauben.“

Am heutigen Dienstag wird Rommel nun in einem Festakt in der Stuttgarter Staatsoper verabschiedet. 1.350 geladene Gäste wollen ihm die Hand drücken und einige von ihnen auch noch eine Rede halten. Obwohl oder vielleicht gerade weil darunter auch der Bundeskanzler ist, hatte Rommel nur einen Abschiedswunsch: keine Rede solle länger als zehn Minuten dauern, bitte! Der letzte König, den die Schwaben hatten, wurde 1918 auch sehr freundlich davongejagt: Selbst die Sozialisten weinten damals.

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