: Sieg der weißen Zelle
■ Offene Ausstellungspolitik: Der Konzeptkünstler Michael Asher hat den "Kunstraum Wien" in seine Bestandteile zerlegt
Am Ende wirkt der „Kunstraum Wien“ verlassen. Als letzten Akt demontierte der kalifornische Künstler Michael Asher das verschiebbare Wandsystem und die vormals hochgeständerte Verwaltungsetage. Ausstellungsleiter Markus Brüderlin erhoffte sich davon einen „subtilen Eingriff in die Konstruktion des in die k.u.k. Hofstallung implantierten Kunstraums“. Nun liegt das weiterhin funktionsfähige Büro mit Computern und Akten wie eine gestrandete Kommandobrücke im Weg. Von hier aus vergab der staatlich bestellte „freie Kunstkurator“ Brüderlin insgesamt 4,3 Millionen Mark. „Die Intervention schließt damit die zweieinhalbjährige Testphase dieser Ausstellungsinstitution ab und markiert den Scheideweg zwischen Auflösung und Fortführung... Bitte verfolgen Sie die einschlägige Berichterstattung.“
Der als „Patre der Conceptual Art“ vorgeladene Michael Asher begreift seine Eingriffe keineswegs rein architektonisch, sondern bezieht hierbei stets das räumliche, historische und soziale Umfeld mit ein. Indem er etwa Heizungssysteme verlagerte oder Wände abtrug, rückte er zugleich das Augenmerk auf die institutionellen Praktiken, die als Spuren der Nutzung den Räumen und ihrem Umfeld eingeschrieben waren. Seine zähen Demontagen legen den Bestand frei. Da bislang weder eine Dokumentation noch Ashers Beschreibung der scheinbar schlichten Aktion vorliegen, muß ein Rückblick auf Architektur, Ausstellungspraxis und Förderpolitik des Kunstraums weiterhelfen.
Das von Asher demontierte Raumsystem hatte schon die offizielle Einweihung des Hauses bestritten. Das Architekturbüro Artec entwarf hierfür eine „kleine, ,feine Ausstellungsmaschine‘ mit einer neutralen, aber offenen Kiste“, die eine „optimale Nutzung der Räumlichkeiten im Wechselspiel zwischen der Architektur Fischer von Erlachs und des neutralen ,White Cube‘“ ermöglichen sollte. Der vormoderne, nach oben geöffnete Raum wurde mit der Verlesung von Brian O'Dohertys Essaysammlung „Inside the white cube“ („In der weißen Zelle“) weiter aufgeladen. Erst bei den folgenden Ausstellungen wurden die holzigen Flächen der „braunen Kiste“ überstrichen.
Kult des neutralen Museumsraumes
Der Kritiker, Künstler und irischstämmige Aktivist O'Doherty beschrieb 1976 in Artforum den Bedeutungswandel des Präsentationsraums von der übervollen Wunderkammer hin zum Kultobjekt einer „gleichmäßig erleuchteten Zelle“: „Wir sind nun an dem Punkt angelangt, an dem wir nicht zuerst die Kunst betrachten, sondern den Raum... Das Bild eines weißen, idealen Raumes entsteht, das mehr als jedes einzelne Gemälde als das archetypische Bild der Kunst des 20. Jahrhunderts gelten darf.“ Im Laufe der sechziger und siebziger Jahre wurde der Galerieraum auch in seiner institutionellen Funktion attackiert: „Was als Überprüfung der künstlerischen Mittel und Möglichkeiten begann, entwickelte sich binnen kurzem zu einer Überprüfung des sozialen und ökonomischen Kontextes von Kunst.“
O'Dohertys Veröffentlichung trägt den Untertitel „Die Ideologie des Galerie-Raums“. Der Untertitel wurde jedoch nicht nur unterschlagen, als der Merve Verlag den Band kürzlich veröffentlichte. Auch Kunstraumleiter Brüderlin schreibt in seinem Rechenschaftsbericht, „daß moderne Kunst in Wien immer in historischen Gemäuern Unterschlupf suchen mußte, wo doch der neutrale ,White Cube‘ eine Grundvoraussetzung für das Entstehen, das Verstehen und schließlich auch für die gesellschaftliche Durchsetzung der Moderne ist“.
Nur in einem völligen Mißverständnis der Essays kann man auf die These kommen, „daß das Scheitern der modernen Kunst in diesem Land nicht zuletzt auf [das] Fehlen [von neutralen White Cubes] zurückzuführen ist“. Brüderlins Thesen reduzieren O'Dohertys Ansatz auf die Forderung nach Neubauten, stehen die weißen Wände doch für eine vom Kontext zwangsbereinigte Kunst. Zudem übersieht er die soziokulturellen Differenzen zwischen Wien und New York. Während in Österreich Akademismus und staatliche Kunstfürsorge die Moderne prägten, ist Manhattans Kunstszene viel direkter den Marktgesetzen ausgesetzt und eignete sich brachliegende Etagen als Studio- und Verkaufsräume an, die nunmehr gleichbedeutend für „White Cube“ stehen.
Markus Brüderlins affirmative Fehldeutungen unterschlagen in mehrfachen Verdrehungen sowohl die Kritik O'Dohertys am ideologisierten, „neutralen“ Raum als auch die heute weiter aufgefächerten Kunstströmungen. Seit der Erstveröffentlichung kehrte die Salonmalerei zurück, während die Kunstpraxis auf die Straße und andere Bereiche hinausgetragen wurde. Davon unbeeindruckt behauptet wiederum Brüderlin im Nachwort des Merve-Bandes, daß der Galerie-Raum „erneut das unbestrittene Forum des Diskurses“ sei. Und so holte er sich zwei „gegensätzliche, die Kunst der neunziger Jahre prägende Richtungen“ – nämlich „werkorientierte“ und „werkkritische“ Tendenzen – nach Hause in den Kunstraum Wien.
Zu den „werkkritischen“ Tendenzen zählt Brüderlin die von Barbara Steiner 1994 betreute Gruppenausstellung „Lost Paradise“. „Der institutionelle Raum wird damit primär [...] zum Ort der Begegnung, zum Ort der Kommunikation“, beschreibt Andreas Spiegl im Katalog die „neutrale“ Kommunikationsstruktur. Das macht er exemplarisch am „Tea Room“ des Nachwuchsstars Rirkrit Tiravanija fest, dessen Verwendung von Campingstühlchen und kleinen Tischen „der ganzen Installation den Charakter eines kurzzeitigen, nomadischen Lagers“ verleihe. Als weiterer Katalogautor folgt Stephan Schmidt- Wulffen dieser Betrachtung und zieht einen Vergleich mit den Kritikern des „Neutralen“: „Es geht nicht mehr um soziale Probleme und deren Lösung, sondern die Interaktion mit den verschiedenen Dispositiven wird als Weg begriffen, Existenz in einem offenen Prozeß zu gestalten. Anders als bei Buren oder Asher tritt Subjektivität wieder stärker in den Vordergrund.“ Die „offene, ungerichtete Struktur der künstlerischen Praxis“ (Spiegl) bleibt allerdings nicht einfach offen, sondern wird durch die Interpretation der KuratorInnen und AutorInnen sowie die Vermarktung auf dem Kunstmarkt gefüllt, der sich auf „werkkritische“ Tendenzen einzustellen weiß.
Wiederholt wird Tiravanijas Arbeit „Untitled (Free)“ von 1992 mit Ashers 18 Jahre älterem „Klassiker“ verglichen. Damals entfernte Asher vorübergehend die Trennwand zwischen Ausstellungs- und Büroraum der gastgebenden Claire Copley Gallery, um innerhalb eines nahezu leeren Einheitsraums die Verknüpfung zwischen Kunst und Handel aufzuzeigen. Der „Potlach-Konzeptualist“ (Jerry Saltz) Tiravanija stapelte den Lagerinhalt samt Galeristen und Büro in den Ausstellungsraum und überführte den Handelsbereich – nunmehr eine raumgreifende Objekte-Installation – in ein ästhetisches Bild. Während Asher die Galerie allein didaktisch nutzt, läßt Tiravanija hierüber wie gehabt seine Kunstobjekte verkaufen.
Ambient Art aus Gartenstühlen
In der Erstausgabe des Kunstmagazins springer – neben dem Kunstraum ein weiteres strukturbildendes Projekt des „Staatskurators“ – findet sich eine Kritik von Christian Kravagna an Tiravanijas Konsumtionsnische. Dabei verweist er auf eine formal ähnliche Arbeit, die Michael Asher im Rahmen der Sektion „Ambiente Arte“ anläßlich der Biennale in Venedig 1976 entwickelt hatte. Asher richtete in der Nähe des Cafés im Garten eine „Lounge Area“ mit Klappstühlen ein. Die aus verchromtem Stahlrohr gefertigten und mit Leinen bezogenen Hocker haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Tiravanijas Campingsesseln, gaben sich aber eindeutig als hochwertige Designmöbel zu erkennen. Sie konnten im Unterschied zu Museumsbänken frei bewegt und zu Gruppen zusammengestellt werden und kippten dank der Aktivitäten der BesucherInnen zwischen Kunstobjekt und Gebrauchsgegenstand.
„Einige zeitgenössische Künstler scheinen zunehmend angezogen zu sein von der vermeintlichen Integration von nützlichem Design und ästhetischer Praxis, da diese Integration den Abstand zwischen sozial-politischer Praxis und ästhetischer Praxis auflösen könnte. In Wirklichkeit verfälscht diese Integration irgendeine politische Perspektive, [...] da es die Aufmerksamkeit des Künstlers von aktuellen sozialen Bedingungen hin zu einem ausschließlichen Interesse an Fragen des Designs verschiebt.“ Ashers historischer Kommentar zu „Ambiente Arte“ analysiert strukturelle Leerstellen, statt sie, wie bei aktuellen Ausformungen der Ambient Art von Rikrit Tiravanija, als scheinbar „offene, ungerichtete Struktur“ ideologisch zu verklären. Anhand des unterschiedlichen Einsatzes von Hockern werden die „Grade der Widersprüche innerhalb ästhetischer Produktion“ modellhaft deutlich: Während Asher die Möbel kommentiert und einmalig einsetzt, läßt Tiravanija sie kommentarlos für die Ausstellung von Geselligkeit immer wieder aufstellen.
Erst durch Demontage und Nichtbespielung wandelte Asher den „Kunstraum Wien“ zu der Art weißer Kiste, wie sie Brüderlin fälschlich versteht. Ashers speziell für die jeweilige Ausstellung konzipierte Arbeiten werden nach Ablauf der Präsentation entfernt, weshalb wohl auch das niedergelegte Raumsystem verschwindet. Was bleibt, ist ein rückgebauter Ort, eine Kunstzeitschrift und der als Dokumentation verfaßte Rechenschaftsbericht des „Staatskurators“. Hierin ist die Arbeit von Asher unter der Nummer 102 mit einem Etat von umgerechnet 50.000 Mark ausgewiesen. Das dabei demontierte „flexible Raumsystem“ läuft unter der Projektnummer 5 und hatte mit 103.000 Mark etwa das Doppelte gekostet. Jochen Becker
Zu Michael Ashers „Demontage“ soll im Herbst 1997 eine Dokumentation mit einem Essay von Allen Sekula erscheinen.
Vitus H. Weh (Red.): „Herausgeber: Kunstraum Wien“. Triton Verlag, Wien 1996
Brian O'Doherty: „Inside the white cube/In der weißen Zelle“. Merve Verlag, Berlin 1996
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen