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Angst im Ghetto von Castelvolturno

Gnuamo ist verschwunden, und Baba ist tot, soviel weiß jeder. Aber wer hat ihn erschlagen, Polizei, Camorra, Banden? Die Angst geht um in der „Citta africana“ im Süden Roms  ■ Aus Castelvolturno Werner Raith

Bertoldo, Jummy, Gnuamo: drei Freunde, die bis vor drei Tagen unzertrennlich waren. Bertoldo, 34, der eigentlich Berthold heißt und sogar etwas Deutsch kann, „weil in Tansania geboren, vorher Deutsch-Ostafrika, und meine Großeltern dachten, vielleicht kommen die Teutonen zurück uns kolonialisieren“; Jummy aus Sansibar, 29, der eigentlich Jimmy heißt, aber keinen „Namen von Engländern“ mag, und Gnuamo, 41, aus Simbabwe, dem vormaligen Rhodesien.

Unzertrennlich waren sie, das bestätigen in Castelvolturno auch alle anderen „Extrakommunitären“, wie in Italien alle genannt werden, die von außerhalb der Europäischen Union kommen: „Ein seltener Fall auch in unseren Kreisen, echte Freundschaft“, sagt Nboma aus Zaire, eine Art Alterspräsident der Umgebung, „normalerweise hängt der Zusammenhalt eben auch bei uns vom Geben und Nehmen ab.“

Doch nun ist Gnuamo plötzlich verschwunden, und Bertoldo und Jummy zittern regelrecht, wenn man nach ihm fragt. „Ist fort“, sagen sie, „ist fort, niemand weiß, wo.“ Warum ist er fort? „Niemand weiß.“ Seit wann. Auch das weiß niemand, „ist eben fort.“ Tage, Wochen, Monate? „Tage. Aber viele.“ Nboma schüttelt unmerklich den Kopf, aber Auskunft gibt er auch keine. „Magghio taci“, lieber schwiegen, sagt er in dem holprigen Italienisch, das den meisten Afrikanern als Verständigungssprache dient.

Am vergangenen Sonntag kam es zu massiven Zusammenstößen mit der Polizei, nachdem man Baba Ossen Seidu von der Elfenbeinküste tot auf der Straße gefunden hatte – wenige Stunden nachdem er von einer Carabinieri- Streife kontrolliert und auf die Wache mitgenommen, angeblich aber sofort wieder freigelassen worden war. Die „Extrakommunitären“ hatten sich, wie der Polizeibericht behauptet, nach dem Fund der Leiche „zusammengerottet, um deren Abtransport zu verhindern“ – tatsächlich hatten die dunkelhäutigen Menschen lediglich gefordert, daß an Ort und Stelle Fotos und wenn möglich auch Videoaufnahmen gemacht werden, um die „verkrampfte Lage des Körpers und auch das aus dem Mund ausgetretene Blut zu dokumentieren, bevor die Behörden wie üblich alles verschwinden lassen“, sagt Nboma.

Nicht ganz von der Hand zu weisen: Gut drei Dutzend merkwürdige Todesfälle zählen die Einwohner Castelvolturnos in den letzten beiden Jahren, doch nur in vier Fällen hat die Polizei überhaupt Ermittlungen wegen Fremdverschuldens vorangetrieben, der Rest wurde entweder „wegen fehlender Anhaltspunkte“ oder „fehlender Hinweise auf Täter“ eingestellt. „Hier herrscht Bürgerkrieg“, sagt Nboma, „das Schlimme ist nur, daß man nicht einmal genau weiß, wer gegen wen kämpft.“

Castelvolturno wird in der ganzen Gegend gegen nur „Citta africana“ genannt: Von den knapp zehntausend Einwohnern sind mehr als zwei Drittel schwarzhäutig. Sie leben, meist ohne Aufenthaltsgenehmigung, in den Rohbauten jener Häuser, die vor zwanzig Jahren in Erwartung noch massiverer Präsenz der US-Amerikaner im nahen Truppenstützpunkt Neapel-Nord und eines aufstrebenden Touristenbooms gebaut, dann aber nie fertiggestellt wurden und seither wie abgenagte Gerippe entlang der drei Kilometer langen Hauptstraße herumstehen.

Tagtäglich kommen hier die Arbeitsvermittler vorbei und karren die kräftigeren der Männer auf die Felder ins Hinterland, wo immer etwas zu pflanzen, zu jäten oder zu ernten ist, und viele der Frauen zur Prostitution nach Neapel. Den Rücktransport müssen die meisten dann aber selbst organisieren, „oft bleibt am Tag nicht eimal ein Zehntausendlireschein“, umgerechnet etwa zehn Mark. Doch derzeit ist Geld nicht die Hauptsorge von Bertoldo, Jummy und all den anderen, die in meist ansehnlich großen Gruppen hier herumstehen und „heute keinerlei Bedürfnis nach Arbeit haben“. Keiner will auf die Lastwagen steigen, die seit dem Morgen hier warten, „sonst kommt so mancher nicht zurück“, fürchtet Nboma.

So genau weiß tatsächlich hier niemand, wer wirklich schuld ist am Tod Babas – auch wenn sich die Wut grundsätzlich zuerst mal gegen die Carabinieri richtet. Denn stutzig macht zum Beispiel, daß die Polizei den Menschen hier nicht mal ein Foto des Mannes zur Verfügung stellen will, „mit dem wir herumfragen könnten, wer ihn nach seiner Entlassung noch gesehen hat“, sagt Nboma, und atmet dann tief durch – Bertoldo hat einen Schreckenslaut von sich gegeben. Die Vermutung liegt in der Luft: Könnte Freund Gnuamo ihn noch gesehen haben?

Vor der Stadt sind starke Polizeikräfte aufgezogen. An der Zufahrt zu Castelvolturno parken vier oder fünf Mannschaftswagen, auch am Südende der Siedlung sind zahlreiche Carabinieri- Fahrzeuge zu erkennen. Auf dem Zubringer zur Umgehungsstraße, die das Dorf seit Anfang der neunziger Jahre weitgehend isoliert, sollen gar zeitweise Straßensperren errichtet worden sein.

Jummy schluckt unentwegt irgendwelche Pillen, deren grauer Farbe man ansieht, daß sie wohl aus verfallenen Apothekenbeständen stammen könnten, dazwischen kaut er auf Wurzeln herum. „Er braucht Beruhigungsmittel“, sagt Nboma milde, „der Mann ist fertig.“ Sicher ist, daß Bertoldo ebenso wie Jummy nichts gesehen haben – sie waren zu diesem Zeitpunkt gerade selbst in Polizeihänden. Nur Gnuamo war freigeblieben – im Carabinieri-Auto war kein Platz mehr gewesen, da hatten die Polizisten ihn einfach stehenlassen.

Warum also zittern sie? „Weil man hier nie weiß, welcher Feind zuschlägt“, sagt Nboma. Außer den Carabinieri, denen man mißtraut, weil „das oft einfach zu junge Kerle sind, die ihre Angst durch Verprügeln von Wehrlosen abreagieren“, außer der Staatsgewalt also „gibt es die Camorra, die uns auch hier peinigt, weil sie für alles und jedes Schutzgelder fordert und manchmal einfach irgendeinen von uns zusammenschlägt, auch wenn der gar nichts angestellt hat – nur mal so, um zu zeigen, wer hier immer noch Herr ist.“ Auch sie könnte den armen Baba verprügelt und seinen Tod verursacht haben. „Das müßte allerdings außerhalb geschehen sein – innerhalb Castelvolturnos haben auch die Camorristen nichts mehr zu sagen: Die trauen sich nicht mal mehr schwerbewaffnet zu uns ins Ghetto – genau wie die Polizei.“

Doch daraus erwächst gleichzeitig die dritte Quelle der Angst: Banden von Schwarzafrikanern befehden sich gegenseitig, oft kommen alte Stammesrivalitäten dazu – „und es ist gar nicht ausgeschlossen, daß jemand von denen den armen Baba massakriert hat, entweder um die Wut auf Carabinieri anzuheizen, oder aber weil sie meinen, daß Baba der Polizei irgend etwas gesagt hat, was er nicht sagen durfte.“

Gnuamo kannte Baba – könnte er etwa auch etwas verraten? Jummy, Bertoldo und auch Nboma sind unschlüssig: Schließlich ist nicht nur Gnuamo verschwunden, sondern gleich ein Dutzend anderer Einwohner – „faktisch jeder“, sagt Nboma, „von dem irgend jemand annehmen könnte, er sei zur fraglichen Zeit auf der Straße gewesen oder habe mit Baba noch einmal gesprochen.“

Ruckartig stehen die drei plötzlich auf – ein merkwürdig hoher Ton liegt in der Luft, er konkretisiert sich vom Norden her und wird allmählich zu einem vielstimmigen Geschrei: Die Staatsmacht rückt an, Carabinieri-Autos brausen herein, bewaffnete Posten sichern die Straße, einige Personen in Zivil steigen aus, Nboma wird von einigen Leuten gerufen, er tritt vor, geht zu den Polizisten, macht Gesten nach hinten und vorn, weist mit der Hand ins Hinterland, schüttelt den Kopf. Der eine Zivilist spricht mit ihm – „vielleicht der Staatsanwalt“, raunt Jummy, „vielleicht einer von der Regierung, der Präfekt.“ Weiter hinten, in einem der anderen Autos glauben manche auch einen Priester zu erkennen, vielleicht sogar einen Bischof.

Nboma deutet nach vorn, nach hinten, bedeutet den Menschen am Straßenrand ruhig zu bleiben, es geschehe nichts Schlimmes. Doch als der Zivilist ihn offenbar bittet, ins Auto zu steigen, rücken die Männer am Straßenrand sofort mit drohendem Geschrei vor. Die Polizei zieht sich hinter die Autos zurück, die Maschinenpistolen werden in Anschlag gebracht.

Nboma geht zu zwei besonders großen Männern vor einer Bar, spricht mit ihnen, die beiden reden ihrerseits mit anderen, dann gehen alle drei zu dem Mann in Zivil. Der Zivilist steigt ein, ohne die Männer aus Castelvolturno. Nboma kommt zurück. „Sie wollen uns vernehmen, aber ich habe gesagt, sie sollen das hier am Ort machen, nicht in der Kaserne. Jetzt wollen die Ermittler darüber beraten, vielleicht machen wir es auch in einer Kirche oder einem Pfarramt. Seid ruhig, vorläufig jedenfalls wird uns nichts geschehen.“ Dann schaut er sich um. „Wo sind Bertoldo und Jummy?“

Aber Bertoldo und Jummy sind nicht mehr da. Sie sind verschwunden, wie ihr Freund Gnuamo. Und die Leute aus Castelvolturno sagen in ihrem holprigen Italienisch: „Anno fadda beno“. Sie haben gut daran getan.

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