: Vom hemmungslosen Kaufrausch scheinen wir in diesen Tagen gepackt zu sein. Nach der Freß-, Spiel- und Sexsucht wollen die Medien nun gar eine Kaufsucht geortet haben. Doch hat uns nicht vielmehr der Zwang zum sinnvollen und damit ganz und g
Vom hemmungslosen Kaufrausch scheinen wir in diesen Tagen gepackt zu sein. Nach der Freß-, Spiel- und Sexsucht wollen die Medien nun gar eine Kaufsucht geortet haben. Doch hat uns nicht vielmehr der Zwang zum sinnvollen und damit ganz und gar nicht unkontrollierten Geldausgeben überkommen? Besinnliches über Konsumverzicht und die Lust am Kaufen
Widerstand ist zwecklos
Vor Weihnachten wächst das Bedürfnis, sein Verhältnis zum Konsum zu klären. Santini an den Füßen und Armani als Beinkleid, fällt einem plötzlich auf, daß das Gehalt nicht ausreicht, um der Gattin die Wünsche nach Geschmeide und der Nichte die Freude auf Steiff-Tiere zu befriedigen. Veritable Druckerzeugnisse unterstützen einen freilich nach Kräften, das Unbehagen in der Shopping-Kultur zu überwinden. Leiden mit Fergie. Als sie noch im Königshaus ein und aus ging, wurde sie als schlechtangezogenste Monarchistin gemaßregelt. Nun gibt sie im Guardian das prominente Beispiel eines Shopaholic. Mit ungezügelter Kauflust hat sie ein kleines Königreich verpraßt. Und sie steht mit ihrem Problem in UK nicht allein da. Englische Sozialforscher wollen herausgefunden haben, daß es mit der Kaufsucht immer schlimmer wird. Der heimische Spiegel ist diesbezüglich freilich schon etwas weiter. Hier liest man vom „Überdruß am Überfluß“, und Exklusivschneider Wolfgang Joop raunt bourdieumäßig von der „Proletarisierung des Luxus“. Der Kaufrausch als Metapher.
Einstweilen müssen wir aber weiter leiden an den „seelischen Folgen der Konsumgesellschaft“, so der Untertitel eines Buches des Psychologen Wolfgang Schmidbauer. Wie sich dieses Leiden äußert, ließ sich bislang nur erahnen. Der Einzelhandel beklagt einen Umsatzrückgang, und das therapeutische Gewerbe kann nicht mit empirischem Material dienen. Noch besteht offenbar geringer Bedarf, die geheime Leidenschaft des Kaufens zu outen [siehe Interview].
Was derzeit unter dem Stichwort Kaufrausch in die Nachmittagstalkshows gehievt wird, entstammt eher der Disziplin Konsumkritik in all ihren Spielarten. Als härteste Variante, mit der weihnachtlichen Einkaufsmelancholie zu Rande zu kommen, galt der Konsumverzicht. In kargen Landkommunen seinerzeit hinreichend erprobt, ist die Praxis, sich der „geheimen Verführer“ (Vance Packard) redlich zu erwehren, freilich ein wenig aus der Mode gekommen. Man muß im urbanen Alltag nun einmal verbrauchen, morgens beim Zähneputzen die klinisch geteste Creme und beim Verlassen der Behausung die Dienste des U-Bahn-Führers. Widerstand ist beinahe zwecklos. „Es gibt Produkte“, schreibt Schmidbauer, „die gleichzeitig an die Gier und an die Disziplin appellieren, zum Beispiel die kalorien- und alkoholreduzierten Leichtgetränke, die ,gesunden‘ Zigaretten, die ,Du darfst‘-Diätprodukte, die ,umweltfreundlichen‘ Konsumartikel, die ,energiesparenden‘ Elektrogeräte, die ,biologisch abbaubaren‘ Chemikalien.“
Selbst wer in Sachen Konsumkritik einigermaßen beschlagen ist und sich einigermaßen resistent gegen Verführungen aller Art wähnt, kann auf die Hilfe von Produktberatern wie die der Stiftung Warentest kaum mehr verzichten. Das macht die Sache nicht unbedingt leichter. Völlig ratlos machen die kritischen VerbraucherInnen Versandhandelsvertreter wie der frühere Geschäftsführer der nordrheinwestfälischen Grünen, Thomas Hoof, der mit seinem Manufactum-Versand unablässig die guten Dinge preist, von denen unsereiner bekanntlich auch nie genug bekommen kann.
Das Wort vom Kaufrausch klingt ohnehin nach Lifestyle mit einem gewissen Psycho-Touch und koppelt die ökonomischen und sozialen Fragen, die mit der Überschuldung von privaten Haushalten zusammenhängen, auf elegante Weise ab. Schwer zu sagen, wieviel Promille der Bevölkerung beim täglichen Konsumieren die Kontrolle über Geld- und Wunschökonomie verlieren. Das ist das eine. Mehr als 95 Prozent der BürgerInnen aber dürften bis an die Erschöpfungsgrenze damit beschäftigt sein, ihr Geld sinnvoll und rational auszugeben. Kaufen ist einfach, sinnvoll Geld ausgeben macht Arbeit und bereitet weiß Gott nicht bloß Vergnügen.
Der Berliner Soziologe Heinz Bude bestreitet denn auch, daß es sich bei der fortdauernden Konsumkritik um eine ehrliche intellektuelle Haltung handelt. Es komme vielmehr darauf an, sich von der Warenwelt ansprechen und anstecken zu lassen. „Es ist eine ganz normale Konsumerfahrung, daß man ins Kaufhaus geht, um aus zweckrationalen Überlegungen heraus etwas zu kaufen, eine Hose zum Beispiel, und man kommt wieder und hat Schuhe gekauft. Was hat sich da ereignet? Welt und Selbst stehen offenbar in einem überaus labilen Verhältnis zueinander.“ Der Konsum konfrontiert uns laut Bude mit der Tatsache der Zufälligkeit unserer Wahl. Er plädiert dafür, in den Mahlstrom des Konsums zu springen. Nur so sei die Erfahrung zu machen, daß Konsum auch ermüdend sein kann. „Eine Haltung, die dem Konsum gegenüber Spielraum gewinnt, kann nur eine sein, die ihn ernst nimmt.“ Demnach wird man nicht von der Welt des Konsums lassen können, aber man kann bestimmte Dinge lassen: „Souverän ist der Konsument, wenn er sich nicht entscheiden kann und nichts oder was anderes kauft.“
Am Ende scheint der gute Konsument nicht der verzichtende oder kritische zu sein, sondern der bastelnde und experimentierende. Konsum als Bricolage, die sortiert, neu zusammenstellt und auf schon einmal Dagewesenes zurückgreift. Im Kampf damit, eine vernünftige Wahl zu treffen, wird er sich auch schon mal rauschhaft in Angebotsfülle und Entscheidungslust verlieren. Eine Regel für gelingendes Kaufen scheint es ohnehin nicht zu geben. „Ist der ideale Konsument einer“, fragt Heinz Bude, „der ganz wenige Dinge kauft, weil er genau weiß, was er will, oder muß er nicht ganz viel kaufen, weil ihm immer neue Produkte die Risiken seiner alten Sachen vor Augen führen?“ Der Konsumismus bedroht die WirtschaftsbürgerInnen also über die Festtage hinaus. Aber irgendwann muß man das Magazin mit den neuesten Testergebnissen aus der Hand legen und es sich ein bißchen nett machen. Harry Nutt
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