: Nervenkrieg in Peru
Die Geiselnehmer wollen verhandeln – der Präsident bleibt hart. Wer wird länger durchhalten? ■ Aus Lima Ingo Malcher
Die alte Frau mit den zerschlissenen Kleidern schaut verständnislos und verärgert über den Rand ihres kleinen Gemüsestandes auf einem Markt im Zentrum von Lima. Gerade haben sich die Geiseln der Guerilla-Organisation Tupac Amaru (MRTA) in der besetzten japanischen Botschafterresidenz beschwert, daß die Regierung ihnen Wasser, Strom und Telefon abgestellt hat. Kommentar der Verkäuferin: „Wir leben jeden Tag ohne Wasser, Strom und Telefon.“
Die von der Guerilla am Dienstag überfallartig besetzte Residenz im noblen Stadtteil San Isidro ist weiträumig abgeriegelt. In den Seitenstraßen stehen Panzerwagen quer auf der Straße, Scharfschützen haben sich auf den Dächern postiert, Polizisten mit Bleiwesten und Maschinenpistolen sperren die Zufahrtswege ab. Etwa 900 sollen es insgesamt sein. Vor den Absperrungen braten Kamerateams in der prallen Sonne.
Die Regierung hält sich mit Informationen zurück. „Kein Kommentar“, lautet in der Regel ihre knappe Antwort. Auch in Diplomatenkreisen sorgt die „geringe Transparenz“ der Regierung auf der Suche nach einer Lösung für Mißstimmungen. Zwischen Japan und Peru ist die Chemie nicht in Ordnung: Der zu Gesprächen nach Peru gereiste japanische Außenministers Yukihiko Ikdea fuhr gestern unverrichteter Dinge wieder nach Japan zurück. Zwischen den beiden Ländern gebe es „große Differenzen“, hatte er zuvor gesagt.
Perus Regierung spielt auf Zeit. Präsident Alberto Fujimori forderte am Wochenende die Geiselnehmer zur Kapitulation auf und schloß eine gewaltsame Lösung nicht aus. Er kalkuliert, daß die MRTA-Kämpfer ihre Drohung nicht wahrmachen werden und ihre Geiseln nicht umbringen. Denn bisher hat die Gruppe eher das Gegenteil getan: Kranke Geiseln wurden freigelassen. Auch ist fraglich, wie lange die schätzungsweise 17 Guerilleros den Druck der Belagerung durchstehen. Die Geiseln sind nach Angaben von Mitarbeitern des Roten Kreuzes in gutem Zustand. In einem Brief haben sie die Regierung dazu aufgefordert, von einer militärischen Lösung abzusehen und die Krise auf friedlichem Wege zu beenden.
Die MRTA sucht indessen den Dialog. „Sie sagen, daß es das wichtigste ist, unser Leben zu schützen“, so eine der freigelassenen Geiseln. In ihrem zweiten Kommuniqué bietet die Guerilla der Regierung einen Friedensvertrag an. Danach sollen alle inhaftierten Kämpfer freigelassen werden und die Organisation in eine legale Kraft umgewandelt werden, die sich dann als Partei organisiert. „Ich sehe keinen anderen Ausweg“, kommentiert der Soziologieprofessor Agustin Haya de la Torre, der zehn Jahre lang für die Vereinigte Linke im Parlament saß. Denn für das MRTA-Kommando geht es um alles oder nichts. Der Chef der Besetzer, Cerpa Cartolini, ist der einzige MRTA-Kommandant, der noch in Freiheit ist. Wenn er scheitert, ist die MRTA am Ende. Daher meint Haya de la Torre auch, daß es glaubwürdig klingt, wenn die Besetzer sagen, „sie seien bereit, zu sterben“. Würde die Regierung die Residenz stürmen lassen, wäre ein Blutbad die Folge.
Am Freitag abend ließen die MRTA-Guerilleros 38 Geiseln frei. Fünf von ihnen, darunter Kongreßabgeordnete und Botschafter, sollen jetzt Verhandlungen zwischen der Regierung und den Rebellen vorantreiben. Der von der Regierung dafür auserkorene Erziehungsminister Palermo hat die Sonderermittler gebeten, über die Verhandlungen nichts an die Öffentlichkeit kommen zu lassen.
In Peru solidarisieren sich viele Menschen mit den Geiseln. Täglich kommen Menschen zur Residenz, um für ihre Freilassung der Geiseln zu demonstrieren. Doch bei einigen im Land macht sich auch heimliche Freude breit, weil die Affäre Präsident Fujimori in eine Krise stürzt.
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