piwik no script img

Aus dem Lotterbett gefallen

■ Die taz fragt in ihrer Jahresendzeitserie heute: Was wurde aus Großbritanniens ehebrechendem Exkulturminister David Mellor?

Dublin (taz) – Der FC Chelsea war schon immer sein Lieblingsverein. Als ihn dann aber die Sun auf der Titelseite im Trikot des traditionsreichen Londoner Fußballclubs abbildete, war es um seine politische Karriere geschehen: In diesem Outfit soll David Mellor nämlich nachts ins außereheliche Bett seiner Freundin Antonia de Sancha gesprungen sein, und das ziemt sich nicht für einen verheirateten britischen Minister.

Das war im September vor vier Jahren. Mellor war 1990 beim Sturz Margaret Thatchers Partei Staatssekretär im Innenministerium gewesen. Dann hatte er sich flugs zum Wahlkampfleiter für den damaligen Finanzminister John Major ernannt. Der zeigte sich dankbar, als er auf Thatchers Thron saß: David Mellor wurde mit 41 Jahren Minister für kulturelles Erbe, was als Etappe auf dem Weg zu höheren Aufgaben galt.

Dann war es aber die Endstation, weil sich der nationale Erbschaftsverwalter privat lieber mit Zeitgenössischem beschäftigte: mit der 30jährigen spanischen Schauspielerin Antonia de Sancha, deren größter Filmauftritt die Rolle einer beinamputierten Prostituierten war, die es mit einem Pizzalieferanten treibt. Behauptete jedenfalls der Daily Mirror. Und wußte noch mehr: „David Mellor kroch in ihr Schlafzimmer und begann, Shakespeare zu rezitieren. Sein blasses nacktes Fleisch glühte im Kerzenschimmer.“

Schließlich tauchten auch noch Tonbänder auf: Nachrichten, die der verheiratete Minister grob fahrlässig auf dem Anrufbeantworter seiner Freundin hinterlassen hat. Die sammelte alles und spielte das unbeholfene Balzgeplapper ihren Freunden vor, die sich vor Vergnügen auf dem Boden wälzten – und alles brühwarm der Presse erzählten.

Was Mellor endgültig das Genick brach, war jedoch seine Beziehung zu einer anderen Frau: Die Filmproduzentin Mona Bauwens, Tochter eines PLO-Führers, hatte Mellor mitsamt Frau und Kindern Anfang 1991 einen Urlaub in Marbella spendiert – „während unsere Jungs brav am Golf kämpften“, so der Tenor der Boulevardpresse. Das Aus für Mellor kam, als sich auch das einflußreiche Hinterbänklerkomitee der Tories gegen ihn stellte.

Danach wurde es vorübergehend ruhig um den jetzt einfachen Abgeordneten. Seine Frau ließ sich von ihm scheiden, und die spanische Schauspielerin trennte sich gleichfalls von ihm. Heute lebt er mit einer neuen Freundin in einem alten Lotsenhaus hinter der Londoner Tower Bridge. Sein Geld verdient er als Wirtschaftsberater: Er entwickelt Werbestrategien für große Unternehmen, und sein Rat ist offenbar gefragt – wie der Erwerb des teuren Lotsenhauses zeigt.

Hin und wieder schreibt er politische Kolumnen für den Guardian. Die sind so proeuropäisch, daß der Millionär James Goldsmith von der extrem europafeindlichen Referendums-Partei bei den Wahlen im Mai direkt gegen Mellor in dessen Wahlkreis Putney antreten will. Dabei stehen die Chancen des früher von der Presse „Spaßminister“ genenannten Mellors inzwischen jedoch gar nicht schlecht. Sein Ansehen ist stetig gestiegen, weil er nicht mehr so viel Rücksicht auf die Parteilinie nehmen muß.

Zum Beispiel setzte er sich nach dem Massaker von Dunblane, als ein Mann Anfang des Jahres 16 Schulkinder samt Lehrerin erschoß, im Gegensatz zu seinen Parteikollegen für ein umfassendes Waffenverbot ein. Auch dem Sport bleibt Mellor verbunden: Er moderiert jeden Samstag nach den Fußballspielen im BBC-Radio „Five Live“ eine beliebte Sendung. Ob er dabei wieder das Chelsea- Trikot trägt, ist nicht bekannt. Ralf Sotscheck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen