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„Ewig dein, ewig mein, ewig unß“

Beethovens Briefe zeigen den Komponisten als Alltagsmenschen und Liebenden, der allerdings nie von seiner Musik schreiben wollte  ■ Von Sabine Zurmühl

Frau von Senekall ich bin scharmanteskall“, schreibt Beethoven 1816 an seinen Freund, den Grafen Zmeskall – eine von Dutzenden gutgelaunten Kurzmitteilungen, die der inzwischen längst an Taubheit leidende, ehelose und oft wohl äußerlich manchesmal verwahrloste Komponist hinterließ und die jetzt in einer neuen Briefausgabe nachzulesen sind. Der Musikersohn aus Bonn, der schon als Wunderkind Klavierkonzerte gab und schließlich mit Hilfe eines Stipendiums durch den Erzherzog von Österreich in Wien landet und bleibt, hat nie systematisch eine Schule besuchen dürfen – er wird sein Leben lang mit der Rechtschreibung und einfachsten Rechnungen kämpfen. Seine Mutter stirbt früh, und sein Vater säuft sich zu Tode... Von den sieben Geschwistern erleben drei Brüder das Erwachsenenalter – Beethoven als der Älteste fühlt sich lange für sie verantwortlich.

Was als traurige Biographie begonnen haben mag, zeigt sich in den Briefen Beethovens dennoch als reiches und selten von Berechnung getragenes Leben. Aus den ersten drei Bänden der Ausgabe – fünf weitere werden bis 1998 folgen – erschließt sich das Leben Beethovens bis zum Jahre 1816. Bis dahin hatte er allein in Wien 13 verschiedene Wohnungen bezogen, er stand mit Musikverlegern, Freunden, der verhaßten Schwägerin, dem bei ihm Klavierstunden nehmenden Erzherzog sowie unterschiedlichsten Damen der adeligen Gesellschaft in Korrespondenz. Insgesamt sind 1.770 Briefe von ihm überliefert.

„Es ist ein eignes Gefühl sich loben zu sehen, zu hören, und dann dabey so sehr seine eigne Schwäche fühlen“ – Beethoven machte sich über den Eindruck, den er vermittelte, wohl keine großen Illusionen: „ich bin ein unordentlicher Mensch, und vergeße bey meinem besten Willen auf alles“, schreibt er, und „o gott, was ist man geplagt, wenn man ein so fatales Gesicht hat, wie ich“...

Beethoven hat die besten Lehrer seiner Zeit, den alten und berühmten Salieri und den esterhazyschen Kapellmeister Joseph Haydn, der sich auch für seine finanzielle Unterstützung ausspricht. In der Chronologie ihrer Entstehung werden nicht nur Beethovens Briefe wiedergegeben, sondern ebenso die an ihn gerichteten Antworten oder auch der Austausch durch Dritte über ihn. So entsteht eine sehr reizvolle Balance zwischen Alltagsnotizen und Höchstkanzleisprache, zwischen Übermütigem und Traurigstem, Beleidigtem, Stolzem und Hilfesuchendem.

„Und nun recensirt solange ihr wollt“

Zeitlebens etwa kämpft Beethoven um einen Bediensteten, der ihm kochen und vor allem schneidern könne – „er braucht eben nicht ansehnlich von Statur, wenn er auch ein wenig Bucklicht, würde ich mir nichts draus machen, ich gebe Monathlich 20 Gulden, kleine und Große Liwree...“ Auch soll derjenige zwar verheiratet, aber bitte ohne Kinder sein – „für den Augenblick würde ich ihn allein nehmen, jedoch auch vielleicht später mit seinem weibe“. Und trotz der immer bleibenden Auseinandersetzungen gibt er nicht nach – „kriechen werd ich nie – meine Welt ist überall...“

Das Auf-sich-Bestehen hat er offensichtlich lernen müssen – spätestens im Umgang mit den Verlegern seiner Werke. So etwa Breitkopf und Härtel in Leipzig, die ihm 1801 von schlechten Kritiken berichten und denen er antwortet: „doch war das Geschrey ihres Rezensenten anfänglich gegen mich so erniedrigend, daß ich mich, indem ich mich anders anfieng zu vergleichen, auch kaum darüber aufhalten konnte, sondern ganz ruhig blieb, und dachte sie verstehen's nicht.“ Und zehn Jahre später macht es ihm schon gar nichts mehr aus: „und nun recensirt so lange ihr wollt, wenns einem auch ein wenig wie ein Mückenstich pakt, so ist's ja gleich vorbey, dann machts einem einen ganz hübschen spaß re-re-re-re-re-cen-cen-si-si-si- si-sirt – hiermit Gott befohlen.“

Einen großen Teil von Beethovens Korrespondenz nimmt selbstverständlich das Verhandeln um Honorare, Rechte, Raubdrucke, etc. ein, und arm ist er dabei wohl nicht mehr gewesen: „ich fordere und man zahlt, du siehst, daß es eine hübsche Lage ist“, schreibt er dem Freund Wegeler, und er kokettiert wohl auch zuweilen mit seiner merkantilen Schwäche: „weil ich wirklich ein schlechter Negociant und Rechner bin... es sollte nur ein Magazin der Kunst in der Welt seyn, so der Künstler seine Kunstwerke nur hinzugeben hätte, um zu nehmen, was er braucht, so muß man noch ein halber Handelsmann dabey sein.“

Quartette und Sinfonien verkauft er im Doppelpack, jongliert schon auch mal mit englischen und Schweizer Rechten zusätzlich, wird unterstützt von seinem in Gelddingen überpedantischen und unnachgiebigen Bruder Kaspar Anton, der, wie auch der zweite Bruder, nach Wien mitgekommen war. Beide Brüder übrigens werden später ihren Familiennamen ändern – die Familie Beethoven ist nicht stolz auf ihren Komponistenbruder.

Sehr früh muß sich Beethoven mit seiner Gehörschwäche beschäftigen, und er tut dies offensiv: „einen Sinn denn ich einst in der grösten Vollkommenheit besaß... wie ein Verbannter muß ich leben, nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Ängstlichkeit“, schreibt er in seinem berühmten „Heiligenstädter Testament“ von 1802, in dem er auch von Selbstmordtraurigkeit spricht. Der „Dämon (hat) in meinen Ohren seinen Aufenthalt aufgeschlagen – o so schön ist das Leben, aber bey mir ist es für immer vergiftet“.

Von Gesprächen nur noch die Melodie

Natürlich sahen die Freunde seine Krankheit mit Mitgefühl. Varnhagen von Ense schreibt 1812 an Goethe von Beethovens „unglücklicher Taubheit..., die seiner angebornen Wildheit nur zu günstig ist und ihn für Solche, deren Liebe er nicht schon vertraut, fast ungesellig macht; für musikalische Töne behält er nichtsdestoweniger die leiseste Empfänglichkeit, und von jedem Gespräch vernimmt er, wenn auch nicht die Worte, doch die Melodie...“

Beethoven fährt zur Kur, er behandelt mit „mandelöhl, aber prosit, daraus ward nichts, mein gehör ward immer schlechter“, und er berichtet von den Aufführungen seines „Fidelio“: „so sage ich dir, daß ich mich im theater ganz dicht am Orchester gar anlehnen muß, um den schauspieler zu verstehen... resignation: welches elende Zufluchtsmittel.“

Aus den im Ton so unterschiedlichen Briefen und Schriftstücken setzt sich ein zartes, differenziertes Bild zusammen von Tagesmüh und Gefühl, von Standesunterschieden und Geldkämpfen, von Freundesjux und Liebessehnsucht.

Beethoven hat sich, da Musiker vom Adel – wem sonst? – bezahlt werden, gewissermaßen als musikalischer Domestik und genialischer Musiker gleichzeitig zwischen den Ständen bewegt, lavieren müssen von Kindheit an. Besonders bitter hat sich das auf seine Lieben ausgewirkt, immer aus dem Adel, die Klavierschülerinnen, die Töchter der Gönner, immer unerreichbar für einen, ja gut, begabten und meinetwegen berühmten, aber eben von Herkunft doch gewöhnlichen Musikus.

So schwärmt er von seiner Klavierschülerin Guiletta Giucciardi, widmet ihr die „Mondscheinsonate“: „ein zauberisches Mädchen..., die mich liebt, und die ich liebe, es sind seit 2 Jahren wieder einige seelige Augenblicke, und es ist das erstemal, daß ich fühle, daß – heirathen glücklich machen könnte, leider ist sie nicht von meinem stande...“ Und schon zwei Monate später, im Januar 1802, schreibt er gekränkt an die Mutter des Mädchens, die ihm eine volle Geldbörse hatte überreichen lassen: „ich sage, daß mich ihr Geschenk erschrocken hat ... nun schien es mir, wollthen sie meinen Stolz dadurch demüthigen, indem sie mir zeigen wollten, daß sie mich

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zu ihrem schuldner machen wollten...“

Zwar berichtet ein Zeitgenosse, Beethoven sei in Wien „immer in Liebesverhältnissen und hatte mitunter Eroberungen gemacht, die manchem Adonis ... schwer geworden wären“ – aber die Briefzeugnisse durch Beethoven selbst sprechen da doch eine andere und sehr anrührende Sprache: „Von ihr – der einzig Geliebten – Ach bin ich nicht zu stolz, wenn ich glaube, die Töne wären mir williger als die Worte – Sie sie mein Alles meine Glückseeligkeit – nur Sie – ewig Sie.“

Josephine Gräfin Deym will zunächst ein platonisches Verhältnis durchaus eingehen, läßt aber schließlich den ungestümen Schreiber nicht mehr vor, der verletzt notiert, daß „ich mich den Abweisungen ihres Bedienten nicht mehr unterziehen mag ... leben sie wohl liebe liebe J.“

Zwei Jahre später bittet Beethoven den Freund Baron Gleichenstein, ihm zu helfen, „eine Frau suchen – Schön muß sie aber seyn, nichts nicht schönes kann ich nicht lieben – sonst müste ich mich selbst lieben...“ Wie bekannt – zu einer Heirat kam es niemals –, und alle mitfühlenden Seelen weisen bis heute traurig auf den Brief an die „Unsterbliche Geliebte“ von 1812, der wahrhaftig ein herzzerreißender Liebesbrief ist – und niemand weiß, an wen gerichtet. Vermutungen, ja, aber keinerlei Gewißheit – wie traurig, wie schön.

„Mein Engel, mein alles, mein Ich“, beginnt Beethoven, schreibt aus Teplitz über einen Tag drei lange Passagen, „ist nicht ein wahres HimmelsGebäude unsre Liebe – sey ruhig – liebe mich – heute-gestern – o liebe mich fort – verken nie das treuste Herz deines Geliebten

ewig dein

ewig mein

ewig unß.“

Von der vergeblich werbenden Liebesliebe zur tyrannischen Onkelliebe war es dann wohl ein naheliegender Schritt. Als sein Bruder 1816 stirbt, stürzt Beethoven sich in die Vormundschaft für seinen Neffen, indem er die Schwägerin anschwärzt und gerichtlich verfolgt. Weil er nicht imstande ist, mit dem Kind zusammen einen Haushalt zu führen, kommt der Junge in ein Internat, von dem aus der neue „Vater“ alles organisiert: „zieh eine Unterziehhose an, oder nehm sie mit, damit du sie gleich nach dem Bade anziehen kannst, im Falle das wetter wieder kühler werden soll...“ Das „kleine Kerlchen“ wird später, erdrückt von des Onkels herrischer Fürsorge, einen Selbstmordversuch begehen. Aber das ist eine spätere Geschichte. Die folgenden Bände der Beethoven-Briefe werden es zeigen.

Ein schönes Spinnwebnetz, der Eindruck eines ein bißchen vorlauten, letztlich scheuen und leisen Menschen, der besonders von seiner Musik nicht reden/schreiben will – die ist zum Hören.

Ludwig van Beethoven: „Briefwechsel – Gesamtausgabe“. Henle Verlag München. Band 1-3 (von geplanten 8) 1783-1816.

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