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Homer der Hypertexte

■ Michael Joyce, Galionsfigur der Computerliteratur, kommt nach Hamburg.

Sprache, Schrift, Druck ... Hypertext! Schenkt man Michael Joyce Glauben, so werden gebundene Bücher schon bald obsolet sein. Die prophetische Stimme kommt aus berufenem Munde: Joyce ist nicht nur Professor am renommierten US-amerikanischen Vassar College, wo er englische Literatur unterrichtet, sondern er hat mit afternoon, a story auch den Klassiker der Hypertexte geschrieben – eine Form von Literatur, die nur auf dem Computerbildschirm gelesen werden kann.

taz: Herr Joyce, wie würden Sie den Begriff „Hypertext“ erklären?

Michael Joyce: Die ursprüngliche Definition stammt von Theodor Nelson, der in den sechziger Jahren Hypertexte als Dokumente beschrieb, die nicht-linear geschrieben und gelesen werden. Etwa wie ein Lexikon, in dem man zwischen den Einträgen hin- und herspringt und Querverweisen folgt.

Seit Mitte der achtziger Jahre gibt es Computerprogramme, mit denen sich solche Texte elektronisch erstellen lassen, und die es dem Leser ermöglichen, sich nur per Mausklick durch ein Netz von Textfragmenten zu bewegen, die untereinander über sogenannte „Links“ verbunden sind. Der Begriff der Nicht-Linearität scheint mir jedoch nicht auszureichen, denn letztlich werden die Textfragmente doch immer in einer Sequenz gelesen, eines nach dem anderen. Wesentlicher scheint mir zu sein, daß der Leser sich seinen eigenen Weg bahnt und damit erst den Text schafft. In einem komplexen Hypertext gleicht keine Lesung einer anderen, es gibt so viele Texte, wie es Leser gibt.

Welchen Einfluß hat der Autor dann noch auf sein Werk? Oder anders gefragt: Was macht einen gut geschriebenen Hypertext aus?

Wichtig ist vor allem, das Netz der Verbindungen so dicht zu spinnen, daß tatsächlich immer neue Lesarten entstehen können. Bei Hypertexten geht es vor allem darum, dem Leser ein ständiges Gefühl der Veränderung und des Wandels zu vermitteln. Wichtig sind nicht nur die einzelnen Textteile, sondern auch die Räume zwischen ihnen, die ständig präsenten Möglichkeiten der Verbindung. Das Internet, der berühmteste aller Hypertexte, verschafft dieses Gefühl grenzenloser Möglichkeiten, des ständigen Wandels.

Sind die meisten Leser mit „grenzenlosen Möglichkeiten“ nicht überfordert?

Natürlich bedarf diese Art des Lesens der Gewöhnung. Doch das Internet zeigt auch, daß ein großes Bedürfnis danach besteht. Wir leben in einer Zeit der Vergänglichkeit und des ständigen Wechsels. Bücher werden zwar immer mehr verkauft, doch auch sie vermögen nicht mehr, bleibende Ideen zu vermitteln, die die Kultur als Ganzes beeinflussen.

Hypertext ist für mich das Medium, um diese Zeit des Übergangs beschreibbar und reflektierbar zu machen. Darum geht es mir: Vergänglichkeit darzustellen, den ungreifbaren Moment einzufangen, wo eine Sache zu einer anderen wird, Wasser zu Eis gefriert.

Wovon wird Ihr Vortrag am kommenden Montag handeln?

Im Zentrum wird die genaue Lektüre eines Gedichts von Czeslaw Milosz stehen, „A Book In The Ruins“. Daran anschließend werden sich einige poetische Reflektionen zu Hypertexten und Katastrophentheorien – jenen Theorien also, die sich mit Veränderung beschäftigen, jenen Momenten, in denen ein System umkippt und zu etwas ganz neuem wird. Die Basis all dieser Überlegungen bildet meine Suche nach einer neuen Sprache. Einer Sprache, die den Beginn von etwas Neuem darstellbar macht, zu dem selbst uns noch die Worte fehlen. Fragen: Volker Hummel

Vortrag von Michael Joyce, „(Re)Placing the Author: ,A Book in the Ruins'“, Mo, 6.Januar, 18-19.45 Uhr, Von-Melle-Park 6, Hörsaal B, in englischer Sprache

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