: Dem Herrgott ist's egal, er ist liberal
Die FDP schwelgte auf ihrem Dreikönigstreffen in Nostalgie: Im vorigen Jahr war alles viel schöner. Da ging es ums Überleben. Heute geht es nur noch ums Gestalten. Aber wie stellt man das an? ■ Aus Stuttgart Markus Franz
Das waren noch schöne Zeiten, damals, vor genau einem Jahr, beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart. Die Partei war tief in der Krise, drei Landtagswahlen standen bevor, bei denen kaum jemand mit Erfolgen der FDP rechnete. Trotzdem oder gerade deshalb wurde der Landesvorsitzende der damals nicht im Landtag vertretenen baden-württembergischen FDP, Walter Döring, mit „We are the Champions“ empfangen. Auf dem Dreiköngisball wurde, als sei es das letzte Mal, ausgelassen getanzt. Das Schlagwort von der „Steuersenkungspartei“ wurde geboren.
In diesem Jahr dagegen: Der traditionell am Vortag des Dreikönigstreffs stattfindende Landesparteitag der baden-württembergischen FDP plätschert ereignislos vor sich hin, weil kontroverse Themen wie die Abschaffung der Wehrpflicht aus Rücksicht auf die Parteispitze ausgelassen werden. Beim Dreikönigsball sitzen einige beinahe wehmütig herum, erinnern sich daran, wie sie im letzten Jahr noch in ihr Bier weinten und wie die Sängerin Ireen Sheer sich dem Bundesaußenminister Klaus Kinkel auf den Schoß gesetzt und beide umgefallen waren. Ja, die war schön, die Untergangsstimmung. Da ging es ums Überleben, heute nur ums Gestalten.
Wie bestellt, hatte wenigstens der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber vorab das Feuer geschürt, indem er der FDP soziale Kälte vorgeworfen und von Klientelpartei gesprochen hatte. Spannung versprachen auch Anträge des Landesverbandes Baden- Württemberg. Da war zu spüren, was liberale Politik ausmachen könnte: doppelte Staatsangehörigkeit, liberale Drogenpolitik durch die Einrichtung von Fixerstuben, entschärftes Polizeigesetz, Beteiligung von Arbeitslosen an den Tarifverhandlungen und als in Deutschland einmaliges Bonbon: Ein Kreisverband soll mit einer Zweidrittelmehrheit seiner Kreisversammlung den Parteibezirk wechseln können.
Aber die Regie des Dreikönigstreffens verlangt Friede, Freude, Eierkuchen. Die Bundespartei hat Vorrang. Und so wurde auf dem Landesparteitag lediglich der Vorstand neu gewählt. Die anderen Themen sollen auf einem Sonderparteitag im März zur Sprache kommen.
Noch am Vorabend des Dreikönigstreffens hatte Generalsekretär Guido Westerwelle versprochen: „Sie werden staunen, wie interessant das morgen wird.“ Endlich könne sich die FDP vom Thema Steuern abwenden, so wie man es schon im Herbst vorgehabt habe. Die FDP gehe jetzt in die Themenoffensive. Auch Walter Döring, der erste Redner beim Dreikönigstreffen in der Staatsoper, erwartete in dieser Beziehung wohl einiges: „Ich bin gespannt auf die Rede des Bundesvorsitzenden über Vorschläge zur Bildungspolitik.“ Er wurde enttäuscht.
Wolfgang Gerhard reihte Floskeln aneinander wie: „Elite ist kein Zeichen nur der akademisch Ausgebildeten. Von seinen schon vorher bekanntgewordenen, von der eigenen Nachwuchsorganisation heftig kritisierten Vorstellungen über Studiengebühren, Kürzung der Schulzeit, Maximalstudiendauer war nichts zu hören. Statt konkreter Vorschläge machte Gerhard nur Andeutungen, wo die Reise hingehen soll.
Verächtlich redet er von „Wohlstandsgeselschaft“. Deutschland brauche mehr Pioniergeist, mehr Risiko- und Verantwortungsbereitschaft. Und wie, wenn nicht als Absage an Sozialstandards, konnte seine Bemerkung verstanden werden: „Weltweit konkurrieren deutlich über eine Milliarde Menschen, die rund vier Dollar pro Tag verdienen, mit etwa 280 Millionen Menschen, die über 80 Dollar pro Tag verdienen“?
Guido Westerwelle stößt ins gleiche Horn. Nur daß er die „Wohlstandsinsel“ Deutschland als Schreckgespenst an die Wand malt. Die Bezeichnung unsozial brandmarkt er als „Totschlagwort“. Für die junge Generation von heute sei Leistungsbereitschaft kein „turbokapitalistisches Yuppiegequatsche“, sondern eine zwingende Selbstverständlichkeit.
Wie Außenminister Klaus Kinkel Liberlaismus versteht, zeigte er mit einem Gedicht: „Herrgott, du hosch dene zeigt und ihren Wahlsieg sche vergeigt. Hosch zeigt, daß Schwarz in unserem Ländle braucht alleweil a blaugelbs Bändle. Ob's jedem gfällt, war dir egal, kurzum, du warscht echt liberal.“ Egal, so scheint's, ist liberal.
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