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Der rote Friedhof

■ Der Waller Friedhofsführer: Wo die Reichen, die Politiker und die Klugen liegen

„Der Friedhof soll in uns kein Gefühl des Grauens vor dem Tod erzeugen, sondern in sinniger Verbindung mit anmuthigen Naturgegenständen uns aussöhnen mit unserem Schicksal und neue Hoffnung in uns erwecken.“ So spach 1872 Herr Jancke. Herr Jancke hatte den Gartenarchitekten-Wettbewerb um den besten Plan für einen neuen Friedhof beim Dorf Walle gewonnen und durfte in der Folgezeit gleich zwei Friedhöfe für die Bremer Toten bauen: den Waller und den Riensberger. Auch der Waller Friedhof hat mittlerweile eine Geschichte, von der eine Ahnung bekommt, wer im jetzt vorliegenden zweiten Bremer Friedhofsführer „Walle“ blättert.

Friedhöfe nicht als nüchterne Begräbnisstätten zu entwerfen, galt damals in Deutschland als fortschrittlich. Sogar eine Hamburger (!) Garten- und Blumenzeitung bewunderte den Mut der Bremer, eine aufwendige Spazier- und Repräsentierlandschaft mit Teich einzurichten, die vollendet wurde vom großen Wilhelm Benque, Gestalter und Chef des Bürgerparks. Nämlicher Benque – genauer: gewisse Überreste – finden sich heute im Gräberfeld R unter Nummer 196 auf dem Waller Friedhof, eine Erkenntnis, die wir der o.a. Broschüre verdanken. Unter der leicht aufschneiderischen Überschrift „Gräber bekannter und berühmter Personen“ sind Kurzbiographien hier ruhender Toter versammelt, die ih- rerzeit entweder durch Geld oder durch Mitgliedschaft in der Bremischen Bürgerschaft oder durch herausragende intellektuelle Leistung (letztere in der Minderheit) aufgefallen sind. 32 Bekannte, wenn nicht Berühmte: immerhin!

In Feld BB, Nr. 1516 liegt zum Beispiel die Asche von Friedrich Wilhelm Hermann Aevermann, Aufbauer der Versuchsschule Helgoländer Straße, nach dem Krieg als Senator mit der wenig dankbaren Aufgabe der „politischen Befreiung“ betraut, worunter man das Ausstellen von Persilscheinen bzw. Entnazifizierung zu verstehen hat. Des Weiteren liegen Teile der Familie Knoop hier („Knoops Park“), auch der Baron, der reich und adelig wurde durch den Aufbau von Spinnereien und Webereien in Rußland. Der Wollfabrikant Lahusen („Nordwolle“) wurde hier ebenso zur letzten Ruhe gebettet wie der Spediteur Friedrich Wilhelm Neukirch, dessen Name heute noch zahlreiche LKW ziert. Man findet in Feld O als Nummer 1 den Maler Overbeck, als Nummer 82 in Feld X einen Kaufmann Buff, der uns daran erinnert, wie schwer traditionell und praktisch unwegdenkbar die Handelskammer ist, der er ab 1864 angehörte. Verrückte Projekte sanken hier zusammen mit ihren Erdenkern ins Grab wie der „Hansa-Kanal“ ins Ruhrgebiet mit seinem Fürsprecher Heinrich Julius Elsius Flügel. Auch Karl-Heinz-Köpcke liegt hier, leider nicht der.

Vergleicht man die Friedhöfe in Walle und Schwachhausen, wirkt der hafennahe erheblich proletarischer. Ursprünglich war er zwar erste Wahl für alles Reiche weserab und lesumauf, später jedoch wurde er rot wie Walle. Daran erinnert ein „Denkmal für die gefallenen Verteidiger der Bremer Räterepublik“ eines gewissen Georg Arfmann, das ein 1933 von den Nazis zerstörtes „Revolutionsdenkmal“ von Bernhard Hoetger ersetzt. So gesehen liegen auf dem Waller Friedhof auch lauter Geschichten, zumeist Bremensien, die die „Stadtgrün“-Broschüre nur streifen kann, die aber doch irgendwann mal erzählt werden wollen. BuS

Das Heft ist für 2 Mark beim Friedhofsverwalter erhältlich .

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