■ Beim Frisör: Strahlkraft des Schicksals
Wolf Schneider, der Oberlehrer der Henry-Nannen-Schule, fragt in seinem „Handbuch des Journalismus“ gleich zu Beginn angewidert: „Wer zieht die Grenze zwischen dem Journalisten und der bloßen Plaudertasche?“ Dahinter verbirgt sich die vergebliche und im übrigen auch unverkäufliche Idee, ein Medium nur zur Aufklärung nutzen zu dürfen. Verdienen doch die Verleger von Frau im Spiegel, Das Goldene Blatt oder Bild Millionen mit dem seeligsten Wunsch aller Menschen, klatschhaft Anteil am Schicksal der anderen zu nehmen. Der einzige Unterschied zwischen Spiegel und Frau im Spiegel ist letztlich nur der, daß die Yellow press unverblümt auf die wundersame Strahlkraft des Hochadels setzt, während das Nachrichtenmagazin so tut, als gingen ihn diese Niederungen des Menschlichen nur deshalb etwas an, weil sich darin das Böse und Schlechte abbildet. Dabei wissen Medienmacher, die auf nichts als die verkaufte Auflage halten, sehr genau, daß eigentlich nur mit „Human Stories“ Aufmerksamkeit zu erzielen ist. So war denn auch das bestverkaufte Heft des Spiegel jenes zum Tode Willy Brandts. Auch die Sportberichterstattung verfährt nach dem Prinzip der Personalisierung, weshalb sich wohl die elaborierte Zeit (außer in den Kolumnen von Herrn Rowohlt) so schwer mit Berichten aus der Welt der Leibesübungen tut: Man weiß um die Bedürfnisse der Leser nach Tuchfühlung, will sie es aber nicht allzu sehr merken lassen.
Leseranalysen zeigen, daß sich mitnichten nur die Frauen beim Frisör am Klatsch delektieren, sondern auch zunehmend jüngere Leser – darunter viele Männer. Das Gruner+Jahr-Blatt Gala setzt daher auf Max-konditionierte Leser und hat sich nach einem Relaunch im letzten Jahr mittlerweile mit einer Auflage von zirka einer Viertelmillion im Zeitschriftenmarkt etabliert. Dennoch kommt die moderne Gala nicht gegen die von Frau im Spiegel und deren wöchentlich verkaufte 744.000 Exemplare an: Dafür ist Gala zu wenig Schonkaffee und zu selten affirmativ. Eine etwas bittere Röstung für ein Lesebedürfnis nach dem Heilen und Schönen.
Jan Feddersen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen