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Völkerwanderung der asiatischen Migranten

Malaysia will seine illegalen Arbeiter loswerden. Wie viele Menschen in Süd- und Südostasien auf der Suche nach einem besseren Einkommen unterwegs sind, weiß niemand. Der schwarze Arbeitsmarkt ist ein profitabler Wirtschaftszweig  ■ Von Jutta Lietsch

„Wir werden keine Mühe scheuen, auch die übrigen Arbeiter zu erwischen“, warnte Malaysias Vizeinnenminister Megat Junid Megat Ayob in der vergangenen Woche. Wenige Tage zuvor hatten die malaysischen Behörden über 1.200 indonesische „SchwarzarbeiterInnen“ in ihre Heimat verfrachtet. Hunderttausende sollen in den nächsten Wochen aus dem Land geschafft werden.

In Malaysia hat eine beispiellose Abschiebekampagne gegen die auf eine Million geschätzten illegalen Arbeitskräfte begonnen. Nur so, behauptet die Regierung, könne sie die Probleme in den Griff bekommen, die mit der ständig wachsenden Zahl Illegaler ins Land gekommen sind: Kriminalität, Krankheiten, soziale Spannungen mit der einheimischen Bevölkerung.

Die blühende Wirtschaft Malaysias, das knapp 20 Millionen Einwohner und für seine ehrgeizigen Industrialisierungspläne nicht genug Arbeitskräfte hat, zog in den vergangenen Jahren Frauen und Männer aus über zwanzig Staaten an. Die meisten stammen aus den ärmeren und bevölkerungsreichen Ländern Asiens, besonders Indonesien, Bangladesch, Pakistan, Philippinen, Sri Lanka und Thailand.

Viele von ihnen kamen als Touristen ins Land, andere liefen mit Hilfe von teuer bezahlten Schlepperbanden über die grüne Grenze, oder sie landeten mit kleinen Booten an den Küsten Malaysias. Die malaysische Regierung weiß, daß die Arbeitswilligen auch in Zukunft kommen werden – zu groß ist die Not in anderen Ländern.

Die meisten Migranten bleiben in der Region

Als Anfang Januar die ersten Bilder von den abgeschobenen Indonesiern um die Welt gingen, gab es keinen Aufschrei in der Region. Im Gegenteil: Die Regierungen der Nachbarländer zeigten vollstes Verständnis. Die indonesische Regierung in Jakarta versprach Unterstützung bei der Rückführung von Hunderttausenden indonesischer Landsleute. Sie schickte sogar ein Schiff ihrer Kriegsmarine, um die erste Gruppe Abgeschobener in Empfang zu nehmen.

Kooperativ reagierte auch der thailändische Außenminister Prachuab Chaiyasarn, der gerade zum Staatsbesuch in der malaysischen Hauptstadt weilte: In Zukunft wolle Thailand seine Grenze mit Malaysia stärker kontrollieren, versprach er. Prachuab selbst ist übrigens Fachmann im Export von Arbeitskräften: Der Politiker betreibt im Privatberuf ein Unternehmen, das bereits über 50.000 thailändische ArbeiterInnen in die Golfstaaten vermittelt hat.

Der Grund für die verständnisvolle Haltung der Regierungen in Indonesien und Thailand: Weder Jakarta noch Bangkok können es sich leisten, den Nachbarn zu verärgern. Denn dort leben immer noch Hunderttausende ihrer Bürger – legal oder illegal.

Malaysia ist nur ein Beispiel für die Völkerwanderung der ArbeitsmigrantInnen in Asien: Auch wenn viele bis in die arabischen Ölstaaten, nach Europa und in die USA gelangen, bleibt die große Mehrheit in Ost- und Südostasien. Wie viele unterwegs sind, kann niemand genau sagen, die offiziellen Statistiken sind ungenau. Mindestens 2,6 Millionen legale GastarbeiterInnen zählte die Hongkonger Far Eastern Economic Review kürzlich. Experten der Internationalen Arbeitsorganisation ILO nehmen an, daß die Zahl in Wirklichkeit weitaus höher liegt. Keiner weiß überdies, wie viele Menschen ohne Papiere auf Baustellen und Plantagen, in Fabriken, Häfen, Restaurants und Bars der Region arbeiten.

Für ihre Heimatländer sind die Überweisungen aus der Ferne oft wichtiger Teil des nationalen Einkommens: Das gilt für die Philippinen, wo 1994 nach Angaben der Regierung zwanzig Prozent der Exporteinnahmen aus den Überweisungen der MigrantInnen stammten, ebenso wie für Indonesien, das noch in seinem Fünfjahresplan 1989 bis 1994 eine „Exportquote“ von 500.000 ArbeiterInnen offiziell anstrebte.

Auf der anderen Seite könnten die aufstrebenden asiatischen Staaten wie Taiwan, Malaysia oder Singapur ohne die ausländischen Arbeitskräfte nicht leben. Ein Fünftel der in Singapur Beschäftigten zum Beispiel hat einen fremden Paß.

Auch Thailand ist nicht nur Exporteur von Arbeitskräften: Auf den Baustellen der thailändischen Hauptstadt Bangkok, in der die Wolkenkratzer wie Pilze aus dem Boden schießen, machen birmesische Einwanderer den thailändischen Landflüchtigen aus den verarmten Nordprovinzen Konkurrenz.

Rund 400.000 Birmesen und Hunderttausende Chinesen, Vietnamesen und Kambodschaner suchen im Land Beschäftigung, schätzen die Behörden. Fast alle arbeiten „schwarz“: nicht nur auf dem Bau, sondern auch in den Fabriken, auf den Feldern, auf Fischtrawlern, in Restaurants, Bars und Bordellen.

Eine Einkommensquelle für Arbeitgeber und Polizei

Geflüchtet vor dem wirtschaftlichen Elend in ihrer Heimat, überleben sie in Thailand mit ein paar Groschen am Tag – immer noch mehr, als sie zu Hause verdienen würden. Ihre Ausbeutung ist eine sprudelnde Einkommensquelle für Arbeitgeber und Polizei.

Korruption und Schutzgelderpressung blühen: Immer wieder kommt es vor, schrieb die Bangkok Post in einem Report über die elende Lage der Illegalen, daß ein Chef seinen „Schwarzarbeiter“ persönlich der Polizei übergibt – so braucht er den Lohn nicht zu zahlen.

In der Stadt Phuket reichten die Arbeitgeber für jeden ihrer illegalen Angestellten monatlich 500 Baht (rund 30 Mark) „unter dem Tisch“ an die Behörden. Der Besitzer einer Gummiplantage berichtete, die Polizei komme regelmäßig vorbei, um seine Beschäftigten festzunehmen – und gegen ein Schmiergeld gleich wieder freizulassen.

Ende Juni beschloß die thailändische Regierung, rund 700.000 illegale ArbeiterInnen offiziell zu registrieren und ihnen eine Arbeitserlaubnis für zwei Jahre zu erteilen – allerdings beschränkt auf einige Provinzen und Regionen des Landes. Thailands Behörden begründeten diesen Entschluß damit, sie könnten die ausländischen Arbeitskräfte auf diese Weise besser kontrollieren. Dies diene der Verbrechensbekämpfung.

Den Ausschlag für die Legalisierung der MigrantInnen gab in Wahrheit wohl der Druck der thailändischen Unternehmerorganisationen, die ihren Nachschub an billigen ausländischen Arbeitskräften sichern wollten. Damit hoffen die Arbeitgeber auch, das Lohnniveau ihrer thailändischen Beschäftigten zu drücken.

Mit ihrem Angebot, die illegalen ArbeiterInnen anzumelden und ihnen eine Arbeitserlaubnis zu gewähren, machte die thailändische Regierung allerdings eine ähnliche Erfahrung wie Malaysia: Nur wenige Arbeitgeber waren bereit, die Gebühren für die Legalisierung zu zahlen.

Der illegale Arbeitsmarkt in Asien ist heute ein eigener profitabler und grenzüberschreitender Wirtschaftszweig. Internationale Schlepperorganisationen, die japanischen Yakuza, die chinesischen Triaden, thailändische und südasiatische Menschenhändler profitieren von der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich in der Region und der Hoffnung Hunderttausender, dem Elend zu entkommen.

Nach den Männern kommen jetzt junge Frauen

Vor allem der Frauenhandel blüht: Aus entlegenen Dörfern in Birma, Laos, Kambodscha und China werden immer mehr und immer jüngere Mädchen mit dem Versprechen, Arbeit zu bekommen, in die Rotlichtbezirke Thailands gelockt und bis nach Japan, Europa, in die USA und die arabische Welt geschleust.

Selbst auf den Philippinen, wo die Regierung durch eine rege Frauenbewegung dazu gezwungen wurde, die Vermittlung von Arbeitskräften ins Ausland mit strengen Gesetzen zu kontrollieren, gedeiht das Geschäft mit der Not. Wer dringend eine Arbeit sucht und einen lukrativen Job im Ausland versprochen bekommt, zahlt oft Vermittlungsgebühren von über tausend Dollar – und verschuldet sich und die Familie auf Jahre.

In Malaysia protestierte jetzt die Frauenorganisation Tenaganita, die seit Jahren für die Rechte ausländischer Arbeiterinnen kämpft, gegen die Abschiebungskampagne: Die Regierung habe die illegalen Geschäftemacher lange gewähren lassen. Die Behörden sollten nicht die Arbeitskräfte bestrafen, sondern deren skrupellose Chefs, forderte Irene Fernández, die Leiterin von Tenaganita.

Waren es in den ersten Jahren der „Arbeitskraftexporte“ aus Asien vor allem junge Männer, die auf den Baustellen und Fabriken in den reichen Golfstaaten oder asiatischen Industrieländern beschäftigt waren, lassen heute immer mehr Frauen ihre Familien hinter sich: Sie sind Kindermädchen, Putzfrauen oder Barfrauen in den reicheren Ländern.

Die meisten Länder haben strikte Regelungen erlassen, um sicherzustellen, daß die Migranten wieder in ihre Heimat zurückkehren. Singapur geht so weit, ausländischen Hausangestellten vorzuschreiben, alle sechs Monate einen Schwangerschaftstest machen zu lassen. So soll verhindert werden, daß sie in dem Stadtstaat eine Familie gründen und sich niederlassen.

Auch in Malaysia hatten die Behörden bereits im vergangenen Jahr die Schraube angezogen: Sie verboten Ehen zwischen ausländischen Arbeitern und einheimischen Frauen – und drohten an, solche Verbindungen auch rückwirkend für ungültig zu erklären.

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