: Pro Tag tausend Mark für Pillen
Ärzte und Krankenkassen streiten weiter um das Arzneimittelbudget ■ Von Lisa Schönemann
Wieviel darf der Pillenkonsum der HamburgerInnen kosten? Und vor allem: Wer soll ihn bezahlen? In diesem schier endlosen Streit haben die Kontrahenten, die Kassenärztliche Vereinigung (KV) und die vereinigten Krankenkassen, jetzt das Schiedsamt angerufen. Das ausgewogene Gremium – je ein Vertreter von KV und Kassen, ein Vorsitzender und ein Außenstehender – soll im Clinch um das Arzneimittelbudget für 1995/96 vermitteln.
Rund 808 Millionen Mark sind offenbar nicht genug, wenn es darum geht, Rezepte gegen die Leiden der HamburgerInnen auszustellen. In dieser Höhe war das Arzneimittelbudget für die Hansestadt nach den Vorgaben des Bonner Gesundheitsstrukturgesetzes für 1994 veranschlagt worden. Das Limit soll für 1995 und 1996 um drei Prozent angehoben werden. Darüber sind sich Kassen und KV einig.
Durchschnittlich dürfen die 2.800 Kassenärzte in Hamburg bislang täglich Pillen und Heilwässerchen für 1.000 Mark verordnen. Mit dieser Summe kommt ein schwerkranker Diabetes- oder HIV-Patient jedoch nicht aus. Der Trick, den Budgettopf durch die Ausstellung von Privatrezepten zu Lasten der Kranken zu schonen, ist rechtlich nicht zulässig.
Die Krankenkassen beharren aber darauf, daß die ÄrztInnen bei einer Budget-Überschreitung um mehr als zwei Prozent selbst für die Kosten der verordneten Medikamente aufkommen sollen. Wieviel allerdings 1996 ausgegeben wurde, weiß so genau niemand: Die Rechenzentren der Hamburger Apotheken konnten aufgrund eines Computerfehlers dazu keine Angaben machen. „Wir stochern total im Nebel“, sagt der Arzt Michael Späth, stellvertretender Vorsitzender der KV, der auf keinen Fall einen Vertrag unterschreiben will, nach dem die niedergelassenen Mediziner in ungeahnter Höhe regreßpflichtig gemacht werden könnten. „Der Plan der Kassen ist wie eine Bußgeldandrohung bei Raserei auf der Autobahn, ohne die Geschwindigkeitsbegrenzung zu verraten“, kritisiert Späth.
Die Kassenärzte möchten die Budgetüberschreitungen aus „teuren“ Jahren unbegrenzt mit den nichtausgeschöpften Budgets anderer Jahre verrechnet wissen. Diesen Vorschlag weist Klaus Gollert, Leiter der Landesvertretung der Ersatzkassenverbände, brüsk zurück. Die Probleme werden sich nach seiner Einschätzung in der zweiten Jahreshälfte zuspitzen. Notfalls wollen die Kassen an die Honorartöpfe der Ärzte gehen.
Die Verbraucherzentralen haben jetzt auf einer 64seitigen Liste kostengünstige Medikamente zusammengestellt, um die Orientierung auf dem mit 50.000 Präparaten gepflasterten Arzneimittelmarkt zu erleichtern. Die Liste beschränkt sich auf 400 Wirkstoffe, die nach Auffassung der Autoren als Werkzeug für Allgemeinmediziner völlig ausreicht. Schnupfenmittel, Hustenlöser und Abführmittel sollen ohnehin durch alte Hausrezepte ersetzt werden.
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