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Kein Schatten weit und breit

■ Sozialrevolutionär Benque pflanzte 1866 die erste Fichte im Bürgerpark

remen, 16. Juli 1865, der Eröffnungstag des 2. Deutschen Bundesschießens auf dem Gelände der Bürgerweide. Großer Bahnhof. Herrschaften und Honoratioren, Damen und Herren in Schale. 35 Grad im Schatten. Keine Möglichkeit, mal schnell in atmungsaktive Freizeitkluft zu schlüpfen (nicht mal die Vokabeln dafür gab es). Und kein Baum weit und breit. Und während die Kugeln pfeifen auf der Bürgerweide, ventilieren ein paar Herren die Idee, wie schön schattig es hier sein könnte, wenn statt der baumlosen Öde hier mal ein waldartiger Park entstünde. Ein sogenannter Volksgarten, also einer, in dem Angehörige aller Stände in zwangloser Umgebung einander näher kommen, wie es etwa der in Kiel lehrende Philosophieprofesor Christian Hirschfeld bereits 1785 forderte, mit Verweis auf den Wiener Prater und den Berliner Tiergarten. „Bewegung, Genuß der freyen Luft, Erholung von Geschäften“ sollte ein öffentlicher Park bringen, der den Stadtbewohner „mit anmuthigen Bildern und Empfindungen“ erheitern sollte.

Aus der Schrift „Ein Bürgerpark auf unserer Bürgerweide. Ein Wort an die Bürger und Freunde der Stadt Bremen. 1866“ spricht der gleiche Geist: „Immer größer wird das gesundheitliche Bedürfnis nach einem städtischen Gehölz, zu dem der Arme so gut wandert wie der Reiche, nach einem im Freien gelegenen öffentlichen Garten, zu einem Stadtpark, an dem jeder Bürger ein Anrecht besitzt.“

Gute Absichten sind vorhanden, bloß bezahlt werden muß der Park, geplant auf Flächen der nutzlos gewordenen Bürgerweide, noch. Und zwar aus privaten Mitteln. Ein „Verein für die Bewaldung der Bürgerweide“, der spätere Bürgerparksverein, gründet sich. 105 ehrenamtliche Mitglieder zählt das „Sammel-Comitée“, das bald für den grünen Zweck 6.722 Goldtaler zusammenbringt – durch „Preßgänge“, wie Zeitgenossen die offensive Arbeitsweise des Comitées beurteilen. Für 15.000 weitere Goldtaler haben bereits solvente Bremer unter der Hand gezeichnet. Was an den 37.000 Talern, die das Unternehmen insgesamt kostet, noch fehlt, kann durch Mitgliedsbeiträge aufgebracht werden.

Ohne Umschweife genehmigt der Senat den Wunsch des Vereins, aus der Weide einen Park zu machen. Der Grund für den prompten positiven Bescheid ist nicht die Sorge, den BremerInnen stünden nicht genügend „anmutige Bilder und Empfindungen“ zur Verfügung, sondern die Tatsache, daß die Bürgerweide als Einnahmequelle zusehends versiegt.

Denn auf der Weide, als Allmende Bremens seit 1159 historisch verbürgt, tummeln sich immer weniger Kühe und Pferde. Nach Wohnort und Stand genaustens differenziert, hatten Alt-, Neu- und Vorstädter – in dieser Reihenfolge – das Recht, ihr Vieh dort weiden zu lassen – acht Kühe im V.I.P-Fall, eine Kuh für den kleinen Mann. Und während 1822 noch 1.715 Stück Vieh auf der Weide gezählt werden, sind es 40 Jahre später nur noch ganze 75. Entsprechend weniger Weide-Gebühren fließen in die Kassen des Senats. 1864 wird die Bürgerweide nicht mehr als Allmende genutzt.

23. Juni 1866. Rundgang, Inbesitznahme, Besiegelung des Vorhabens Bürgerpark – Wort und Handschlag reichen aus. Abgesteckt wird der Claim zwischen Hollerallee, Staugraben, Parkallee und Findorffallee. Mit dabei: Bevollmächtigteder Weidedeputation, Mitglieder des Bürgerparkvereins, der Weidehirte – und der Landschaftsgärtner Wilhelm Benque, dem die Gestaltung des Geländes zum Lebenswerk wird.

„Wechselvoll“, heißt es in den „Bremischen Biographien des 19. Jahrhunderts“, sei das Leben des Mecklenburgers Benque gewesen. In der Tat: Bevor sich Benque auf der Bürgerweide ans Werk macht, ist er in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts in Boston und New York, als dort die geräumigen städtischen Parks angelegt wurden, und beteiligt sich an der Ausschreibung für den Central Park. Nicht ganz freiwillig. Denn Benque floh, als Aufrührer in seiner Heimat verfolgt, in die Neue Welt.

Nach Gärtnerlehre und naturwissenschaftlichem Studium in Berlin, gelobt vom königlich-preußischen Hofgartendirektor Lenné, kehrt Benque, 30jährig, nach Ludwigslust im Mecklenburgischen zurück. Um sich mit Veröffentlichungen zur Bekämpfung der Kartoffelkrankheit und zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse einen Namen zu machen – Themen, die nicht sehr weit auseinander liegen.

Im Revolutionsjahr 1848 muß Benque Ludwigslust verlassen. Und kommt 1865 in Bremen an, nachdem ihn Wallobergärtner und Jugendfreund Nagel, auch er ein Mecklenburger, aufgefordert hat, einen Planungsentwurf für den Bürgerpark zu zeichnen. Eine ruhmreichere Aufgabe gibt es für einen Landschaftsgärtner nicht.

Ein Jahr später, am 28. Juni 1866 um sechs Uhr morgens, treten 170 Arbeiter an der Bürgerweide an. Die Schießwälle, Überbleibsel vom Schützenfest, werden eingeebnet, drei Spaten tief muß der schwere Boden umgegraben werden; gut einen Monat darauf wird der Emmasee ausgehoben. Im September steht der erste Baum, einer von einigen Tausend bestellten Fichten. Es folgen: 26.000 Rotbuchen, 8.000 Eichen, 2.000 Lärchen, 2.600 Birken, 5.900 Rotfichten und 300 Edeltannen.

Und es folgen mehrere Querelen mit dem Bürgerparkverein. Denn Benque ist eine „knorrige Persönlichkeit“, dessen „starkes Selbstgefühl und scharfe Ironie ihm viele Freunde, aber auch Gegner“ macht, heißt es über ihn. Mal kommt es zum Eklat, als es um geplante Voglieren am Hollersee ging, mal lehnt Benque eine erhebliche Gehaltserhöhung ab: „Später, wenn die Finanzlage es erlaubt.“

Als Benque 1895 in Bremen stirbt, ist er – trotz Senatsschenkung von mehreren Hundert Flaschen Rheinwein aus dem Ratskeller – nicht im Reinen mit der Stadt, der er seinen Stempel aufgedrückt hat. Nicht nur durch den Bürgerpark, auch mit der Erweiterung von Knoops Park und der des Waller Friedhofs, wo der Landschaftsgärtner aus Mecklenburg begraben liegt.

Und wenn Wilhelm Benque heute mit seinem Park konfrontiert würde? Das Parkhotel würde ihm wohl nicht in den Kram passen, meint Ex-Bürgerpark-Direktor Günter Reinsch. Alexander Musik

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