: E-Mobile: Methadon für die Autogesellschaft?
Wer ein Elektroauto fährt, ändert zumeist seine Einstellung zum Autoverkehr, wird kritischer und fährt bald weniger. Doch die herkömmlichen Verkehrswissenschaften sind unfähig, diesen Effekt in ihre Berechnungen einzubeziehen ■ Von Andreas Knie
Der Schweizer Forscher Benno Seiler hat es als einer der ersten entdeckt. Der Diplomand an der ETH Zürich befragte im Raum Basel Menschen, die sich kein gewöhnliches Auto gekauft hatten, sondern eins, daß elektrisch angetrieben wird. Die Befragten, in der Mehrzahl waren es hochschulgebildete, gut verdienende, umweltsensible und technisch interessierte Männer, bekannten in längeren Interviews, daß sich ihr Verhalten während der Nutzung des Elektroautos verändert habe.
Die Anschaffung des E-Mobils war als Zweitauto erfolgt und die Nutzung ursprünglich mehr für Wochenendfahrten zu Freunden und Bekannten geplant gewesen. Insgeheim sollte das neue Auto auch mehr der Gattin dienen. Doch dies änderte sich ziemlich schnell.
Aus dem Freizeitmobil wurde ein Alltagsauto
Elektroautos, zumeist waren es Fabrikate kleiner Unternehmen wie Puli, City-El, Kewet oder Ligier, entpuppten sich als leise und angenehm zu chauffierende Vehikel. Einmal auf die begrenzte Reichweite eingestellt, konnten die täglichen Wege gut eingeteilt werden, und die Mehrzahl der Männer ließ sich nur noch ungern vom Steuer verdrängen.
Aus dem eigentlichen Spaß- und Freizeitmobil wurde ein alltagstaugliches Verkehrsmittel für den Weg von und zur Arbeit. Die Interviewten berichteten davon, daß sie sich mit ihren technisch abgerüsteten Fahrzeugen wesentlich passiver, vorausschauender und vorsichtiger im Straßenverkehr bewegten und überhaupt sehr viel kritischer über unnötige und weite Wege in einer ja rundherum zersiedelten Landschaft zu schimpfen begannen. Einige überlegten auch, das ursprüngliche, konventionelle Erstfahrzeug und jetzige Zweitfahrzeug ganz abzuschaffen und sich an einem Car-Sharing zu beteiligen.
Das von Seiler entdeckte Phänomen, daß sich die Einstellung zu Dingen während ihres Gebrauches ändern kann, ist eigentlich ein ganz alter Hut. Im Umgang mit technischen Geräten treten Lerneffekte auf, die einen Bedeutungswandel nach sich ziehen können. Diese scheinbar so banale Alltagsweisheit entpuppt sich in der wissenschaftlichen Welt als nahezu unlösbares methodisches Problem, wenn man etwa die Vor- und Nachteile der E-Mobile im Vergleich zu konventionellen Autos genau messen will.
In den Natur- und Ingenieurwissenschaften wird gerne sehr exakt gerechnet, die Ergebnisse sollen eindeutig sein. Bei Vergleichsmessungen darf dafür aber auch nicht zuviel verglichen werden, denn dann wird es leicht unübersichtlich oder gar überkomplex. Die Wissenschaftler haben sich daher eine eigene Ceteris-paribus-Welt geschaffen. Zu deutsch: Gemessen wird immer nur ein besonderer Aspekt, alle anderen Dinge werden der Einfachheit halber sozusagen eingefroren. Für die Bewertung des Elektroautos heißt dies, daß im Vergleich zum Normalauto davon ausgegangen wird, daß Besitzer eines Elektrofahrzeuges genausoviel und -weit unterwegs sind wie die in Normalautos. Denn über die Nutzung der etablierten Fahrzeuge hat man im Laufe der Jahre exakte Fahrprofile angelegt. Wenn man jetzt diese Daten in den Computer einspeist und dazu ausrechnet, welche Anteile die verschiedenen Energieträger an der Stromproduktion im jeweiligen Einsatzgebiet haben, kann man eine Emissionsbilanz aufstellen.
Leider vergessen die Meßingenieure beispielsweise des Berliner Umweltbundesamtes (UBA) häufig zu erwähnen, daß diese Bilanz an die Annahme gleicher Nutzungspraktiken geknüpft ist. Das von Benno Seiler entdeckte Phänomen spricht aber dagegen.
Die Europäische Union finanziert daher im Rahmen des Forschungsprogamms JOULE ein Projekt, das herausfinden soll, ob Benno Seiler wirklich Recht hat und welche Konsequenzen sich hieraus für die Umwelt- und Verkehrspolitik ergeben. Der vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) koordinierte Forschungsverbund versucht die tatsächlichen Nutzungsprofile von E-Fahrzeugen in den Ländern Norwegen, Frankreich, Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammenzustellen.
Hierbei wird der Frage nachgegangen, ob bei der Nutzung dieser Fahrzeuge tatsächlich Lerneffekte eintreten, die vielleicht ein völlig neues Licht auf diese bislang nicht recht zum Zuge kommende Antriebsart werfen könnten. Denn immerhin fahren inzwischen über 10.000 solcher Fahrzeuge in Europa umher. Kann das Elektroauto daher ein Art Methadon-Funktion erfüllen und suchttherapeutische Chancen einer auf Entzug gesetzten Autogesellschaft eröffnen? Die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse zeigen, daß die von Benno Seiler entdeckten Phänomene durchaus bei der Mehrzahl der untersuchten Fälle zutreffen: Die Leute sind mit ihren „abgerüsteten“ Fahrzeugen zufrieden, es wird weniger und bewußter gefahren, die Einstellung zu Normalfahrzeugen beginnt kritischer zu werden.
Frust der Fahrer, weil es oft am Service mangelt
Allerdings zeigte sich auch Frust – und nicht zu knapp. Das Batteriemanagement funktioniert eigentlich nirgendwo so richtig gut. Enttäuschungen stellten sich bei vielen von Seiler befragten E-Mobil-Nutzern zur Winterszeit ein, als die Batterien nicht einmal die von den Herstellern versprochenen Leistungen erreichten und die täglich nutzbare Reichweite bei einigen Fabrikaten kaum noch die 30-Kilometer-Grenze überschritt.
Insbesondere können die oft als innovative Hoffnungsträger bezeichneten kleinen Hersteller keine ausreichenden Gewährleistungen erbringen. Firmen kamen und gingen, Vertriebskanäle wurden geöffnet und schnell wieder geschlossen. Die Kunden blieben allzuoft alleine zurück. In Berlin stehen – grob geschätzt – die Hälfte aller 1994 privat betriebenen E-Fahrzeuge in irgendwelchen Ecken herum, weil der technische Service fehlt.
Die vorläufigen Ergebnisse des EU-Projektes sind also zwiespältig. Außerhalb der geschützten Ceteris-paribus-Welt ist es eben doch unübersichtlich und uneindeutig. Die bisherigen Annahmen, die den Bilanzierungen etwa auch des UBA zugrunde liegen, finden allerdings keine Bestätigung. Hier muß also umgedacht werden. E-Fahrzeuge könnten demgegenüber durchaus eine Rolle spielen, wenn entsprechende Bedingungen und Voraussetzungen erfüllt werden. Aber eben nur dann.
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