: Atomare Drängler
Bundesregierung will von Energiekonzernen den Europa-Meiler EPR. Pläne im Sommer ■ Von Reiner Metzger
Berlin (taz) – Mehr Strom als jemals zuvor erzeugten die deutschen Kernkraftwerke im letzten Jahr, meldete gestern stolz das Atomforum. Mit 161,7 Milliarden Kilowattstunden lieferten die AKWs ein Drittel der Stromversorgung und etwa zehn Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland 1996.
Diese Zahlen belegen nach Ansicht der Atomlobby die Unverzichtbarkeit der Kernenergie. Deren Hauptvertreter sitzen inzwischen anscheinend in Bonn am Kabinettstisch der Bundesregierung. Immer wieder sickert aus Kreisen der Energieversorger (EVU) durch, daß sie eigentlich keine neuen Großkraftwerke bauen wollen – und wenn, dann höchstens Gaskraftwerke. Die sind weit billiger als AKWs und politisch nicht umstritten. Trotzdem drängen Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) und Reaktorministerin Angela Merkel (CDU) auf eine Entscheidung für den deutsch- französischen Reaktor EPR. Zuletzt bearbeiteten Merkel und Rexrodt die Stromerzeuger bei einem Treffen am Montag in Bonn.
Der „Europäische Druckwasserreaktor“ (englische Abkürzung EPR) wird angeblich trotz seiner hohen Leistung von 1.500 Megawatt die Strahlung so sicher einschließen wie ein Hochsicherheitsgefängnis Terroristen. Geplant wird er von Siemens/KWU und dem französischen Riesen Framatome. Bis zum Sommer 1997 soll das „basic design“ fertig sein, also das Konzept samt den ersten Blaupausen, welche Drücke und Temperaturen wo herrschen. Das Verkaufsargument für den Reaktor: Selbst eine Reaktorschmelze wie in Harrisburg oder Tschernobyl soll so wenig Strahlung freisetzen, daß Schutzmaßnahmen außerhalb der Anlage unnötig sind.
Das Drängen der Bonner Regierung gründet sich laut Michael Müller, dem Umweltsprecher der SPD, auf die Siemens AG: Deren Kraftwerkssparte KWU kann nicht ewig mit Verlust fahren. „Die haben wohl signalisiert, daß sie den AKW-Bau nur noch zwei, drei Jahre aufrechterhalten, wenn keine Entscheidung für den EPR fällt“, so Müller. Damit wäre das kontinuierliche Atomkraftwissen in Deutschland früher oder später endlich unterbrochen; Reaktoren könnten nur mit erheblich größerem Aufwand entwickelt werden.
RWE und die PreussenElektra haben schon erklärt, daß sie auf einen Genehmigungsantrag für den EPR verzichten. Also bleiben eigentlich nur die Bayernwerk/Viag AG oder die Energieversorgung Schwaben in Stuttgart. Die aber weisen eine konkrete Standortplanung noch weit von sich. Die 150 Millionen Mark, die die Energieversorger bis zum Jahr 2000 bereitstellen, sollen nötige Vorarbeiten für ein eventuelles standortunabhängiges Genehmigungsgutachten finanzieren. Wer wann einen Antrag in welchem Bundesland stellt, ist aber auch laut dem Bonner Wirtschaftsministerium noch völlig offen.
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