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Bremen hat vor Gericht schon verloren

■ Scherf droht mit einer Klage vorm Bundesverfassungsgericht / Das BVG hat 1986 in der Sache schon gegen Bremen entschieden

„Scherf droht dem Bund“, notfalls soll eine „Klage beim Bundesverfassungsgericht“ eine Korrektur der Steuerverteilung zugunsten Bremens erzwingen. So meinte Bürgermeister Henning Scherf gegenüber dem Weser-Kurier, und der machte am Dienstag eine Schlagzeile daraus. „Sollte der Bund an dem Prinzip festhalten, nach dem Lohn- und Einkommenssteuer am Wohnort bezahlt werden, bleibt den Stadtstaaten nur der Gang zum Verfassungsgericht“, vertraute sich Scherf dem Weser-Kurier an: „Die jetzige Art der Steuerzerlegung bringt uns um.“

Finanzsenator Ulrich Nölle, so sein Sprecher Diehl, war „überrascht“, als er das „aus der Zeitung erfuhr“. Der Vorstoß ist nämlich unsinnig und geradezu kontraproduktiv – aus verschiedenen Gründen. Im Finanzressort arbeitet niemand an der Vorbereitung einer Klage, weil – erstens – das Bundesverfassungsgericht 1986 längt zu dem Thema ausführlich geurteilt hat. Und weil – zweitens – die von Scherf angegriffene Lohnsteuerzerlegung „nicht die entscheidende Ursache“ für die Überschuldung Bremens ist: 85 Prozent der Pendler-Steuern, die Bremen durch das Prinzip „Lohnsteuer am Wohnort“ entgehen, bekommt das Land per Länderfinanzausgleich zurück.

Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zahlen in den Finanzausgleich ein, sie würden also – käme es zu der von Bremen verlangten Revision – einen gewissen Vorteil haben und weniger zahlen müssen. Den Nachteil hätte vor allem Niedersachsen und da insbesondere die bremischen Umlandgemeinden des „Speckgürtels“, die von der derzeitigen Regelung profitieren. Revision des Wohnort-Prinzips? „Das wollen wir natürlich nicht“, sagt man in Schröders Staatskanzlei. Und gibt dem Scherf-Vorstoß dabei kaum eine Chance: „In diesen Wochen kommt jedes Bundesland und findet sich irgendwie ungerecht behandelt.“

Während die Landeskasse Verluste bei „originären“ Steuereinnahmen über den Länderfinanzausgleich weitgehend ersetzt bekäme, wären die eigentlichen Verlierer die kleinen Gemeinden rund um Bremen. Denn 15 Prozent des Lohn- und Einkommenssteueraufkommens bleiben bei den Gemeinden. Und die haben durch die Pendler letztlich auch mehr Kosten als das Bundesland Bremen: Am Wohnsitz entstehen die Kosten der Ver- und Entsorgung, Bildung, Sport, Kinderversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen.

Mit Art. 107 Grundgesetz sei die Aufteilung der Steuerkraft zwischen Wohn- und Arbeitsort ins Ermessen der politischen Entscheidungsträger gestellt, das Stadtstaatenproblem sei dabei sehr wohl erörtert und bedacht worden, steht im Gerichtsurteil, das Grundgesetz lasse dem Gesetzgeber einen „weiten Gestaltungsspielraum“.

Richtig ernst nimmt man deshalb in Niedersachsen den Scherf-Vorstoß nicht – das Bundesverfassungsgericht braucht nur auf sein Urteil von 1986 verweisen. Falls die Urteilssammlung in Bremen nicht verfügbar sein sollte – die Bürgerschaft hatte das Urteil damals als Drucksache 11/666 nachgedruckt. Daß die Lohnsteuerzerlegung nach höchstrichterlichem Spruch nicht verfassungswidrig ist, ist dort auf den Seiten 10ff und 30ff nachzulesen. Niedersachsen und andere Bundesländer hatten in diesem Punkt damals übrigens gegen Bremens Klage gewonnen. K.W.

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