: Marianna allein zuhaus
■ Premiere in der Shakespeare Company: „Der Anblick meines Herzens“ dramatisch, sprachschön, verwuselt
Der Spaß ist vorbei. Das Reden fängt an. Selbstisch. Verzweifelt. Vorwurfsvoll. Gemein. Witzig. Und immer sprachschön! Wir sind bei Rilke gelandet. Bei „seinen“ Portugiesischen Briefen. Anno 1913 hat der Vielfaltspinsel in Sachen Herzensangelegenheiten die mindestens 300 Jahre alten Liebesbriefe der mutmaßlichen Nonne Marianna Alcoforado an einen unbekannt gewordenen Marques aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Pessoa, Becker-Modersohn, Kafka und jetzt Rilke als Vorlagengeber für das Solostück „Der Anblick meines Herzens“: Da ist das Ganze ein rechter Stoff für die Bremer Shakespeare Company. Und ein glänzend' Schmuckerl für die Actrice Birge Schade. Doch nur ein bloß redlich poliertes Blecherl für den Spielwart Rainer Iwersen.
Wo die Liebe hinfällt, da wächst beizeiten kein Gras mehr. Vor allem, wenn man allein ist damit. So wie die Alcoforado. Unklar ist, ob sie wirklich gelebt, geliebt und geschrieben oder ob ein französischer Autor die Liebesbriefe unter Pseudonym verfaßt hat. Gleichwohl sind es deren fünf, in denen sich die echte oder falsche Marianna regelrecht austobt.
Verlassen hockt sie da in ihrer Klosterzelle und lernt derweil die ganze Welt der Gefühle kennen. Wiederum ist unklar, ob sie die verhängnisvolle Affaire mit dem Marques schon in Nonnenkutte erlebt hat oder, erst danach ehrlos geworden, im Kloster entsorgt worden ist. Gleichwohl ist die Chose gelaufen, und die Marianna arbeitet sich mühsam zu dieser Erkenntnis vor.
Ein Stuhl, eine auf Traversenstangen schwebende Bretterbühne, die tragische Heldin in Nonnenkluft, ein blutrotes Wollknäuel im Schoß: Die Bühnen- und Kostümbildnerin Uschi Leinhäuser verzichtet in ihrer Ausstattung auf Gegenwartszitate und optische Brückenschläge. „Was geht's uns an, das vorbürgerliche Nonnenschmachten“, kritzeln wir alten Lästermäuler in den Block, bis die Alcoforado alias Birge Schade ihren Mund auftut und zugleich den unseren stopft.
Ach, wie schwer ums Herz weinerlt diese portugiesische Doña Rosita ihren Kummer ins durch Vorhänge halbierte Parkett; oh wie seidenmatt übermittelt sie dem verschwundenen Marques sanfteste Zärtlichkeiten; und wie wutentbrannt schickt sie ihm die übelsten Verwünschungen, rüdesten Vorwürfe und verschämtesten Gewissensbisse gleich hinterher: Vom ersten der fünf Akte an spielt sich die Schade – von einigen Premierenhasplern abgesehen – souverän durch die Textflut und tanzt auf der ganzen Klaviatur der verschmähten Liebe. Nichts museales, nirgends, weil pures Schauspiel das Ganze heutig macht.
Allein Regisseur Rainer Iwersen scheint ihr das so nicht zugetraut zu haben. Statt sich voll und ganz auf die Schauspielerin zu verlassen und ihr nur und immerhin auf dem Weg durch Gefühle und Körpersprache zu helfen, inszeniert er ein Requisitentheater mit dem Stuhl, einem Marquesbild und dem einzig roten Wollknäuel hinzu.
So muß sich Birge Schade den seelischen Verwicklungen entsprechend auch noch im Wollfaden verwuseln. Auch muß sie das Bild des Marques an die Lehne schnüren, auf daß der Stuhl buchstäblich zum Substitut für den Verschwundenen wird und mal für konspiratives Flüstern und mal für eine Begattungsmetapher herzuhalten hat. Da ist es beinahe ein Wunder, daß nur der zweite Akt durch diese Verrichtungen nahezu baden geht. Nein, es ist kein Wunder, weil in diesem und in den anderen vier Akten eine 90 Minuten lang hervorragend aufgelegte Birge Schade auf der Bühne steht. Ende der Rede. Der Spaß beginnt.
Christoph Köster
Weitere Aufführungen 18., 23. und 30.1. um 19.30 Uhr, 19.1. um 18 Uhr.
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