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Kinderköpfe im Zwielicht

Künstlerinnen in Berlin (I): Heike Ruschmeyer, Malerin  ■ Von Cornelia Gerner

Nur wenige Meter Hof liegen zwischen der ehemaligen Fabrik und der alten Brandmauer auf der anderen Seite. Trotz luftiger Höhe ist kein Stückchen Himmel zu sehen. Die Fensterflucht des riesigen Schöneberger Ateliers im 3. Stock bietet dennoch gute Lichtverhältnisse. Das sei die Hauptsache, der Ausblick störe sie nicht so sehr, bemerkt Heike Ruschmeyer.

„Der Tod und das Mädchen“, so lautet – in Anlehnung an das Streichquartett von Schubert – der Titel ihrer zuletzt entstandenen Bilderreihe: 1,20 Meter hohe, zum Teil sehr schmale Arbeiten. Sie zeigen Kinderköpfe auf rotem Grund, in unterschiedlichen Haltungen, ausschnitthaft ins Format gesetzt. „Seltsamerweise war es wichtig, daß die Köpfe gar nicht ganz drauf waren.“ Auf diese Weise, aber auch durch die flächig gestaltete Haut ergibt sich ein bestimmter Rhythmus. Die verschiedenen Köpfe scheinen fast, wie bei einer Filmrolle, zu einer Person zu gehören und sich zu bewegen. Eine Idee, die schon in früheren Arbeiten der Berliner Malerin auftaucht, etwa den Triptychon-Serien, die sie Ende 1993 noch in der Kunsthalle ausgestellt hatte.

Heike Ruschmeyer wurde 1956 in Uchte/Niedersachsen geboren. Schon als Schülerin habe sie gern gemalt und „trotz einer Vorliebe für Mathematik“ sei kein anderer Weg für sie in Frage gekommen. Zu ihren frühen Kindheitserlebnissen gehören Krankheit und Tod. In der Pubertät erkrankte sie lebensgefährlich an Magersucht und wog zuletzt nur noch 28 Kilo: „In jener Zeit wurde Malen mein eigentliches Ausdrucksmittel, eine Hilfestellung.“

1979 zog sie nach Berlin und setzte ihr in Braunschweig begonnenes Kunststudium an der Hochschule der Künste fort. Mittlerweile verreise sie nur noch ungern, erzählt sie – und wenn, dann zu einer Ausstellungseröffnung oder eben nach Uchte, um den Vater zu besuchen.

Ihre Bilder malt Heike Ruschmeyer nach Fotos von Menschen, die gewaltsam ums Leben gekommen sind. Oft sind es mißbrauchte Frauen und Kinder. Ganze Figuren oder nur Köpfe, verharrend im Augenblick des Todes. Warum Frauen und Kinder? Nun, sie könne sich besser mit ihnen identifizieren. Aber eigentlich sehe sie auch gar nicht so sehr die einzelnen Menschen in ihnen – männlich, weiblich, Kind oder Erwachsener –, Personen also mit einer eigenen Geschichte; vielmehr zeigten für sie die Figuren in ihrem Ausnahmezustand auch so etwas wie den Kern eines Menschen. Diesen Kern versuche sie immer wieder zu fassen.

Eine Art Initialzündung waren für die Künstlerin die veröffentlichten Fotos der Flugzeugentführer von Mogadischu 1977. Damals entstanden „KopfI“ und „KopfII“. Mittlerweile gibt es um die 100 Köpfe – „Monologe“ heißen sie jetzt – in ganz unterschiedlichen Größen, von DIN-A4 bis zu 2,40x1,80 Meter. Frontal dargestellt, im Halbprofil, von der Seite, in Ober- und Untersicht. Eigentümlich und ambivalent zeigen die Gesichter der Dargestellten oft Spuren von Gewalt und gleichzeitig eine seltsame Belebtheit. Ob sie wisse, daß ihre Bilder etwas Religiöses haben? Das störe sie nicht, so der schlichte Kommentar: „Malen ist irgendwie ja auch Konzentration und Hingabe.“

Malen und mit Donna spazierengehen bestimmen den Tagesablauf. Das Lager des schwarzen, kurzhaarigen Windhundmischlings, eine Liege mit Decken, befindet sich mitten im Atelier. Zur Zeit trägt die Hündin einen Verband um den Fuß. „Eine Scherbe“, erklärt Heike Ruschmeyer. Und dann, über den Satz selbst amüsiert: „Mit Donna lebe ich seit zwölf Jahren zusammen.“ Das großformatige Bild ihres Hundes lehnt neben fertigen und unfertigen Bildern und ist unverkäuflich.

Heike Ruschmeyers Werke sind mittlerweile in mehreren Museen und großen Privatsammlungen im In- und Ausland, auch außerhalb Europas, vertreten. Sie hatte wichtige Ausstellungsbeteiligungen und große Einzelausstellungen. Im März steht eine Ausstellung in der Bibliothek von Florenz an, einen Monat später folgt eine Einzelpräsentation in der Kölner Galerie Scala.

An ihren Bilder malt Heike Ruschmeyer über viele Stunden. Der Werkprozeß sei langwierig, erzählt sie. Fast jedes fertige Bild müsse sie drei- bis viermal übermalen, bis es stimmt. Etwa zehn bis zwölf großformatige Bilder entstehen auf diese Weise im Jahr.

Abends, wenn das Licht nicht mehr gut ist, arbeitet sie an Collagen, die ihr später als Vorlagen für die Bilder dienen. Richtige Zeichnungen gibt es jedoch kaum. Denn das eigentlich Wichtige sei die Farbe: „Rot, ein sehr leuchtendes Rot, außerdem Ultramarin und Gelb sind meine Lieblingsfarben.“

Mittlerweile ist es dunkler geworden im Atelier. Hell scheinen die Körper und Köpfe durch das Zwielicht, beleben den Raum. Ja, irgendwie sei es schon so, die Bilder leisten ihr Gesellschaft, überlegt Heike Ruschmeyer zum Abschied.

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