: Folter, Geständnis, Urteil, Knast
Türkische Staatssicherheit in Aktion: Jugendliche wurden nach schwerer Folter in Polizeihaft wegen „Mitgliedschaft in einer illegalen Bande“ zu hohen Haftstrafen verurteilt ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Hohe Haftstrafen hat das Staatssicherheitsgericht in der türkischen Stadt Izmir gegen zehn Jugendliche verhängt. Sie wurden zu Haftstrafen zwischen 30 Monaten und 12 Jahren verurteilt. Der Prozeß gegen die Jugendlichen in der ägäischen Stadt Manisa hatte in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt, da die Angeklagten im Dezember 1995 über Wochen hinweg in der Abteilung Terrorismusbekämpfung der Polizei in Manisa gefoltert wurden. Neben unzähligen ärztlichen Attesten, die die Folter nachweisen, war der Abgeordnete Sabri Ergül, der sich um die Freilassung der Jugendlichen bemühte, durch einen Zufall in den Raum der Polizeiwache eingedrungen, in welchem die Jugendlichen mit verbundenen Augen mißhandelt wurden und hatte die Folter mit eigenen Augen gesehen. Viele Jugendliche haben bleibende Schäden durch die Folter davongetragen.
Die am Donnerstag abend gegen die Jugendlichen verhängten hohen Haftstrafen beruhen ausschließlich auf den auf diese Weise in der Polizeiwache erpreßten Geständnissen. Das Schmieren von „illegalen Parolen“ an Schulwände und das „Verteilen von Flugblättern“ ist nach Auffassung des Gerichtes erwiesen und rechtfertigt die Verurteilung wegen „Mitgliedschaft in einer illegalen Bande“. Die Einwände der Verteidiger, daß eine Verurteilung aufgrund von unter Folter erpreßten Geständnissen nicht erfolgen darf, nützten nichts. „Das Urteil stand von vornherein fest“, kommentiert Rechtsanwalt Mehmet Sürücü.
Nach der Urteilsverkündung kam es zu Tumulten im Gerichtssaal. „Ihr seid auf Seiten der folternden Polizisten“, schrien Familienangehörige die Richter an. Das Wachpersonal trieb Familienangehörige, die ihre Kinder umarmen wollten, auseinander.
Die Rechtsanwälte befürchten, daß das Urteil des Gerichtes, das zuständig für „Verbrechen gegen den Staat“ ist, ein laufendes Verfahren negativ beeinflussen wird. Nach dem Aufsehen, das die Folterpraktiken gegen Jugendliche in Manisa erregten, wurde nämlich vor dem Strafgericht Manisa ein Prozeß gegen zehn Polizisten eröffnet. Die Staatsanwaltschaft fordert insgesamt 700 Jahre Gefängnis gegen die Polizisten, die sich auf freiem Fuß befinden.
Selbst staatstreue Medien kommentierten fassungslos das jüngste Urteil in Izmir. „Ist dies Gerechtigkeit“ schlagzeilt das Massenblatt Hürriyet: „Der Staat, der gegen die Banden, die sich im Staat eingenistet haben, und gegen die Mafia seine Zähne nicht zeigt, nimmt an Schülern seine Rache.“
Der Angeklagte Hüseyin Korkut, der freigesprochen wurde, fiel während des Prozesses bewußtlos zu Boden. Korkut, der durch die Folter psychische und physische Schäden davongetragen hat und im Rehabilitationszentrum für Folteropfer behandelt wird, war zwei Tage vor dem Prozeß in Istanbul festgenommen und bedroht worden. Polizisten drohten, ihn umzubringen, wenn er nicht von den Foltervorwürfen abläßt.
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