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Abschiebegrund: Ämter überlastet

Das Treptower Jugendamt ist mit der Betreuung minderjähriger Flüchtlinge hoffnungslos überfordert. Kinder werden entgegen dem Haager Minderjährigenschutzabkommen ausgewiesen  ■ Von Marina Mai

Am vergangenen Montag ist ein zwölfjähriges Mädchen von Berlin nach Hanoi abgeschoben worden. Diese in den Worten des bündnisgrünen Abgeordneten Ismail Kosan „völkerrechtswidrige Abschiebung“ wirft ein bezeichnendes Licht auf den Umgang der Verwaltung mit minderjährigen Flüchtlingen. Seit anderthalb Jahren liegt die Vormundschaft für Flüchtlingskinder zentral beim Treptower Jugendamt, wo ein Vormund mit der Verantwortung für rund 600 Mündel hoffnungslos überfordert ist.

Im August 1995 kam die damals zehnjährige Ha Phuong Nguyen als – wie es im Amtsdeutsch heißt – minderjährige unbegleitete Asylbewerberin nach Berlin. Im Alter von zwei bis drei Jahren hatte die kleine Vietnamesin den Kontakt zu ihren Eltern verloren und war bei den Großeltern aufgewachsen. Als diese zu alt wurden, um sie weiter zu betreuen, schickten sie Ha nach Deutschland. Das machte einen Sinn, denn in Schweinfurt lebte eine Tante des Mädchens. Warum Ha aber in Berlin landete und nur gelegentlich mit der Tante telefonierte, weiß niemand mehr zu sagen. Ha war zuerst in der Treptower Clearingstelle untergebracht. Das Jugendamt Treptow übernahm die Vormundschaft und stellte einen Asylantrag für Ha. Der wurde im Dezember 1995 abgelehnt. Klarer Fall: Politisch verfolgt war die damals Zehnjährige nicht. Der Treptower Amtsvormund verzichtete darauf, gegen die Ablehnung zu klagen. „Nach allen Erfahrungen“, so der leitende Fachbeamte Dietrich Fenner, hätte das keine Aussicht auf Erfolg gehabt.“ Der Vormund unternahm auch nichts anderes, den Aufenthalt des Mädchens in Deutschland zu legalisieren. Dazu Fenner: „Wir sahen keinen Handlungsbedarf. Schließlich hätte sie nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen nicht abgeschoben werden dürfen.“

Der Flüchtlingsrat kann über diese „Nachlässigkeit“ nur den Kopf schütteln. „Der Vormund wäre“, so ein Flüchtlingsratssprecher, „verpflichtet gewesen, einen Antrag auf Duldung oder Aufenthaltsbefugnis zu stellen.“ Jugendsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) hätte schließlich am 22. November erklärt, daß auch minderjährige abgelehnte Asylbewerber sonst ausreisepflichtig seien. Es ist keine Ausnahme, sondern die Regel, daß Treptower Amtsvormünder nicht nach anderen aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten außerhalb eines Asylverfahrens suchen. Doch Asyl gibt es nur bei nachgewiesener politischer Verfolgung. Die meisten Kinder fliehen hingegen vor Hunger, Armut, individueller Verfolgung oder Sippenhaft – alles keine Asylgründe, aber dennoch oft Gründe für ein Bleiberecht.

Seit anderthalb Jahren laufen Flüchtlingsrat und freie Träger gegen die Führung der Vormundschaften beim Treptower Jugendamt Sturm. Ihre Kritikpunkte: Asylanträge wurden via Serienbrief gestellt, ohne zuvor mit den Flüchtlingskindern über andere Aufenthaltsmöglichkeiten zu sprechen. Fristen für die Klagen gegen abgelehnte Asylbescheide wurden oft nicht gewahrt, Klagen nicht begründet, Honorare für Rechtsanwälte stehen nicht zur Verfügung. Die Entscheidung, ob überhaupt geklagt wird, liegt allein beim Vormund. Magnar Hirschberger von der „Reistrommel“ machte die Erfahrung, daß das Treptower Jugendamt bei Vietnamesen generell die Klage verweigert. Begründung: In Vietnam gäbe es keine politische Verfolgung. Ein Blick in die ai-Berichte zeigt das Gegenteil.

Der bündnisgrüne Abgeordnete Riza Baran wies Jugendsenatorin Ingrid Stahmer auf die Probleme hin. Die Senatorin beruhigte ihn, die Vormundschaften in Treptow hätten sich bewährt. Dabei geht sie offensichtlich von falschen Voraussetzungen aus. Im November versicherte sie Baran, die Treptower Amtsvormundschaft hätte gegen alle abgelehnten Asylbescheide geklagt. Dabei hatte selbst Treptows Jugendstadtrat Joachim Stahr (CDU) auf PDS- Anfrage das Gegenteil eingestanden. Nach Ingrid Stahmer begleiteten die Treptower Vormünder ihre Mündel grundsätzlich zu den Anhörterminen beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Der Treptower Jugendstadtrat hingegen erklärte, nur Jugendliche unter 14 Jahren würden begleitet. Beratungsstellen kennen aber auch 13jährige, die unbegleitet zur Anhörung mußten.

Als Ha abgeschoben wurde, lag die Vormundschaft schon bei der Arbeiterwohlfahrt. Der neue Vormund klagte noch vor dem Verwaltungsgericht ein Aufenthaltsrecht ein. Es war zu spät. Has Name stand schon auf der Abschiebeliste.

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