: Heute nicht, ich habe meine Komik-Tage Von Susanne Fischer
Als großer Erfolg kann mein Ausflug zu den Marburger Komik-Tagen nicht gelten. Schon auf der Hinreise fing es damit an, daß alle Leute im Großraumwagen außer mir zu einer Familie gehörten. Schräg gegenüber saß die Taschenkramerin, die alle dreißig Sekunden aufstand, um ein Brötchen aus ihrer Tasche zu holen oder ein Taschentuch hineinzutun oder zu kontrollieren, ob ihr Hausschlüssel, ihr Fahrausweis und ihre Geburtsurkunde noch vorhanden waren. Ihre Cousine war eine notorische Brillenrüttlerin, die einen im Abstand von zwei Minuten mit hochgezogenen Augenbrauen anstarrte, als gehöre man nicht hierher (was zutraf). Beider Onkel, ein republikbekannter Armlehnenstreitigmacher, saß natürlich neben mir. Sein Zwilling, der Beinausstrecker, hatte es sich gegenüber gemütlich gemacht.
Erheblich geschwächt traf ich in Marburg ein, nur um mir dort eine Podiumsdiskussion über das Verlegen komischer Literatur anhören zu müssen. Drei Herren mit todtraurigen Gesichtern gaben an, mit derartigen Geschäften befaßt zu sein, obwohl sie in Wirklichkeit eine Depressions-Selbsthilfegruppe auf Klassenfahrt darstellten. Ich rückte mehrmals meine Brille zurecht und zwinkerte die Herren streng an, aber es half nichts. Am nächsten Vormittag hatten wir frei, um uns zu erholen. Man erholt sich in Marburg, indem man Berge rauf- und runterläuft und dabei immer depressiver wird. Herr Roth, der sich seit einiger Zeit das Rauchen verbietet, verlangte alle Viertelstunde nach einem „kleinen Imbiß“. Beim Versuch, ein Brötchen aus meiner Tasche zu zaubern, händigte ich ihm versehentlich meine Geburtsurkunde aus, die er anstandslos verzehrte. Herr Bittermann, der stündlich versucht, sich das Rauchen wieder anzugewöhnen, fand das sehr komisch. Herr Roth und ich fanden dagegen komisch, daß wir Herrn Bittermann mit seiner kaputten Uhr in ein Fotogeschäft, ein mexikanisches Restaurant und ein Hausschuhgeschäft schickten, damit er frage, ob man das gute Stück dort reparieren könne. Herr Rudolf fand uns alle drei derart unterhaltsam, daß er sofort nach Hause fuhr.
Als Höhepunkt der Komik- Tage wurde ein großes Wettlesen gegeben, bei dem der Moderator bedauerte, daß die durchsichtigen Blusen aus der Mode gekommen seien. Ich dagegen bedauerte, daß lustige, selbsterlebte Geschichten aus dem Alltag in Mode gekommen seien. Dann verfolgte ich das Publikum und mich mit einer lustigen, selbsterlebten Geschichte und schlief dabei umgehend ein, wobei ich die Beine ausstreckte und dem Moderator die Armlehne streitig machte.
Danach mußten wir alle noch sehr viel trinken, weil wir so lustig sind. Kurzfristig verbesserte sich meine Laune, als der weltberühmte Humorist und Tagessieger Gerd Henschel eine meiner Geschichten in warmen Worten lobte. Leider stellte sich dann heraus, daß der Text gar nicht von mir war. Nachdem ich Marburg gesprengt hatte, um die Spuren meiner Mordtat zu verwischen, meldete ich mich in der Selbsthilfegruppe für versehentlich gutgelaunte Depressive und ehemalige Mörder an. Man bedeutete mir jedoch, daß leider das nächste der allgemein beliebten Jahrestreffen ausfallen müßte, weil der Tagungsort unerklärlicherweise dem Erdboden gleichgemacht worden war.
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