: Aliens im Niemandsland
Begegnungen der US-amerikanischen Art: Der Holocaust als „Gaststar“ in Science-fiction-Fernsehserien der 60er Jahre. Ein Vortrag über einen ethischen und moralischen Fundamentalschock von universeller Bedeutung ■ Von Jeffrey Shandler
Jeffrey Shandler (Jahrgang 1956) ist derzeit Post-Doc-Stipendiat am Fachbereich Judaistik der University of Pennsylvania. Unter anderem veröffentlichte er „This is your life, Hanna Bloch. Die Geschichte einer Auschwitz-Überlebenden im amerikanischen Fernsehen 1953“ (1993). Wir drucken die gekürzte Fassung eines Vortrags, den er morgen auf der Tagung zur „Shoah-Rezeption in der dritten Generation“ in der Literaturwerkstatt Berlin in Pankow halten wird (siehe auch den nebenstehenden Kasten).
Die meisten Amerikaner sind dem Holocaust zuerst durch mediale Vermittlung begegnet. Dabei kam die Schlüsselrolle bestimmten Fernsehserien zu, durch die der Holocaust in der amerikanischen Öffentlichkeit zu einem moralischen Paradebeispiel wurde. Dieser Beitrag geht der Frage nach, in welcher Form das US-Fernsehen die gängige Auffassung vom Holocaust geprägt hat, und untersucht dazu Folgen aus zwei Science-fiction-Serien der 60er Jahre – „The Twilight Zone“ und die ursprüngliche Star-Trek-Serie –, die jeweils höchst eigenwillige und auf außerirdische Schauplätze verlagerte Auseinandersetzungen mit der Geschichte des Holocaust bieten.
Die Beispiele zeigen, wie das Fernsehen dazu beigetragen hat, daß in Amerika der Holocaust als moralischer Fundamentalschock von universaler Bedeutung begriffen wird, der zu akutem Handeln drängt. Doch ebenso verdeutlichen sie auf schlagende Weise, wie sich das Medium die mit dem Holocaust verbundenen Schlüsselelemente und -bilder zunutze macht, um eine historische Epoche nicht nur fiktional zu verarbeiten, sondern sie zugleich mit ethischen Belangen zu verknüpfen, die heutzutage in Amerika aktuell sind.
In den 60er Jahren vollzog sich die Konsolidierung des Fernsehens als fester Bestandteil der amerikanischen Kultur, indem es allen anderen Massenmedien des Landes eindeutig den Rang ablief. Was das Programm betrifft, wird diese Periode allerdings als eine Phase des eher routinierten Handwerks angesehen, dem der innovative Enthusiasmus der frühen Jahre des Mediums fehlte. Auf dem Unterhaltungssektor dominierten Fernsehserien zur besten Sendezeit, die damals ihre populäre Vormachtstellung erreichten. Wenngleich auf wiederkehrenden Figuren, festen Handlungsmustern und durchgehenden Schauplätzen basierend, bieten solche Serien doch auch Gelegenheit für Gastauftritte in einzelnen Folgen und ebenso für „Gast“-Schauplätze und Themen.
Als ein solcher „Gast“ trat der Holocaust in einer Reihe von Folgen in Erscheinung. Diese gelegentlichen Auftritte ergeben ein Repertoire an wiederkehrenden Bildern und Themen, aus denen kenntlich wird, wie sich der Holocaust zu jener Zeit als ein spezifisches Konzept in der amerikanischen Öffentlichkeit durchsetzte. Daß der Holocaust hierbei allerdings verwendet wird, um grundlegende Fragen zu erörtern – wie etwa nach dem Wesen des Bösen oder nach der ethischen Verantwortung des einzelnen und der Gemeinschaft –, erweist zugleich seine Funktion als Modellfall der Moral im nordamerikanischen Diskurs.
Wie in den meisten Folgen von „The Twilight Zone“ verwendet auch „Death's Head Revisited“ (zuerst am 10. November 1961 auf CBS ausgestrahlt) Situationen und Ereignisse übernatürlicher Art, um soziale und moralische Probleme aus der aktuellen Politik – in diesem Fall den Kriegsverbrecherprozeß gegen Adolf Eichmann – dem amerikanischen Publikum in Form eines außerirdischen „Moralitätendramas“ zu vermitteln. Hier wird ein ehemaliger Nazi-Kriegsverbrecher gezeigt, der dem früheren Konzentrationslager Dachau einen nostalgischen Besuch abstattet und dabei von Geistern seiner Opfer heimgesucht wird, die aus den Gräbern steigen, um ihm für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit den Prozeß zu machen.
Im Gegensatz zum wirklichen Eichmann-Prozeß, den das amerikanische Publikum damals auf dem Fernseher verfolgte, bietet Death's Head Revisited seinen Zuschauern allerdings eine fiktive Gerichtsinstanz, die rasch, unzweideutig und entschieden für Gerichtigkeit sorgt.
„Patterns of Force“, eine Folge aus der Star-Trek-Serie der ersten Generation (Erstausstrahlung auf NBC am 16. Februar 1968) zeigt eine telegene Holocaust-Ikonographie, der bei der Dramatisierung des Holocaust als moralischem Paradigma eine entscheidende Rolle zukommt. In dieser Folge gelangen Mitglieder der Raumschiff-Enterprise-Crew auf einen Planeten, wo sich bemerkenswerterweise der gesamte Nazi-Apparat – von den Insignien und Termini bis zur geplanten Vernichtung einer „niederen Rasse“ – wiederfindet. Dies, so entdecken sie, verdankt sich dem fehlgeleiteten Bemühen eines früheren fremden Besuchers, eines ehrenwerten Historikers vom Planet Erde, der die, wie er meinte, fortschrittliche Wirtschaftsstruktur des Dritten Reiches reproduzieren wollte.
In dieser dramatischen Episode finden sich deutlich Anklänge an den Sechstagekrieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten sowie, wichtiger noch, an das militärische Engagement der USA in Vietnam. Wie auch andere Star-Trek-Folgen bietet „Patterns of Force“ seinen Zuschauern eine Allegorie auf das Schicksal von Beratern, die in Konflikte andernorts intervenieren, und übt auf diese Art verdeckt Kritik an der Rolle der USA im vietnamesischen Bürgerkrieg.
Diese Star-Trek-Folge will zur Warnung dienen und zeigen, daß ein fehlgeleitetes, wenngleich progressiv ausgerichtetes Verlangen, aus den „Erfahrungen der Geschichte“ zu lernen, zu einem neuen Holocaust führen kann. Wie schon der Titel „Patterns of Force“ (Muster der Macht) andeutete, wird der Holocaust hier als ein machtvolles Paradigma begriffen, das potentiell erneut und immer wieder ausagiert werden kann.
Auch später ist der Holocaust in vielen weiteren amerikanischen Fernsehserien in derartigen „Gast“-Rollen erschienen. Und diese zahlreichen Darstellungen haben wesentlich dazu geführt, daß der Holocaust zu einem regelrechten „Markenartikel“ in den USA geworden ist und einen so prominenten Status in öffentlichen Moraldebatten gewonnen hat.
Zugleich sind solche Darstellungen jedoch auch klare Herausforderungen sowohl an ein historisches Verständnis des Holocaust, das seiner Bedingtheit von spezifischen sozialen, politischen, ökonomischen und ideologischen Konstellationen nachgeht, als auch an eine philosophische Heransgehensweise, die das Thema Holocaust als ein völlig eigenes, unbedingtes Phänomen erörtert.
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