: Lange Verdrängung
■ Frankreich: Vichy-Täter Papon wird angeklagt
53 Jahre hat es gedauert, bis Frankreich bereit war, einen Spitzenfunktionär der eigenen Nationalität wegen seiner Mitverantwortung an dem organisierten Massenmord an Juden vor ein Gericht zu stellen. So lange hatten die Beamten aus dem Regime von Vichy Zeit, Nachkriegskarrieren zu machen und in Rente zu gehen. Politiker jeder Couleur unterstützten sie bei ihrer reibungslosen Rückkehr in die Normalität. Die Jahre, in denen Frankreich geteilt war, sollten vergessen, der Graben zwischen den vielen collabos und den wenigen resistants sollte zugeschüttet, das Land befriedet werden.
Französische Spitzenpolitiker – von de Gaulle bis hin zu Mitterrand – trugen zu dieser kollektiven Verdrängung bei. Vereinigungen ehemaliger resistants stellten ehemaligen Kollaborateuren „Resistant-Zeugnisse“ aus, Gaullisten, Sozialisten und Liberale gaben ihnen Regierungsämter.
Vichy war eine „Klammer in der französischen Geschichte“. Erst der nachgeborene Präsident Jacques Chirac änderte diese offizielle Geschichtsschreibung. Im Juli 1995, am Jahrestag der großen Judenrazzia von Paris, bei der französische Polizisten 1942 Tausende Menschen deportiert hatten, war er der erste in seinem Amt, der eine französische Mitschuld anerkannte.
Die Tatsache, daß der einstige Generalsekretär und Verantwortliche für „Judenfragen“ der Präfektur von Bordeaux, Maurice Papon, dem 1.690 Deportationen in Vernichtungslager vorgeworfen werden, erst nach 16jährigen Vorermittlungen wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor ein Gericht kommen soll, ist kein Zufall. Sie ist auch nicht der Erfolg einer gewieften Verteidigung. Sie ist das logische Ergebnis des Umgangs der Nachkriegsfranzosen mit ihrer Geschichte.
Beide Verfahren wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, die bislang in Frankreich stattgefunden haben – 1987 gegen Klaus Barbie und 1994 gegen den französischen Milizionär Paul Touvier –, endeten mit dem Urteil „lebenslänglich“. Auch Papon hat eine hohe Strafe zu erwarten. Doch darauf kommt es bei dem 86jährigen nicht mehr an. Wichtig ist, daß die politischen Hürden für das Verfahren aus dem Weg geräumt sind. Damit ist ein neues Kapitel in der Verarbeitung der französischen Vergangenheit eröffnet. Dorothea Hahn
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