: „Belastung der Rentner ist unverantwortlich“
■ Heiner Geißler, stellvertretender Fraktionschef der Union, begründet seine Ablehnung der Steuerreform. An eine Krise von Regierung und Kanzler Kohl glaubt er nicht
taz: Wo setzt Ihre Kritik am vorgelegten Konzept für die Steuerreform an?
Heiner Geißler: Ich bin nicht der Kronzeuge gegen die Steuerreform. Ich halte sie insgesamt für ein sehr gelungenes Werk. Aber es gibt zwei gravierende Punkte, die Norbert Blüm und mich und andere veranlaßt haben, dem Konzept zunächst noch nicht zuzustimmen. Nachdem in der Steuerreform die Restfinanzierung über indirekte Steuern vorgesehen ist, hätte auch die Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen in der Sozialversicherung entschieden werden müssen. Ohne eine solche Entscheidung ist die Rentenreform schwer zu realisieren.
Der zweite Punkt ist die Rentenbesteuerung. Ich bin der Auffassung, daß wir eine über die jetzige Ertragsbesteuerung hinausgehende Belastung der Rentner sozialpolitisch nicht verantworten können und sie auch rentenpolitisch falsch wäre.
Viele sehen in der Auseinandersetzung nicht nur eine Kontroverse über Details der Steuerreform, sondern einen Grundsatzstreit innerhalb der CDU. Die Kritik am Konzept kommt ja aus ganz unterschiedlichen Ecken der Partei. Gibt es zwischen Verfechtern des Sozialstaats wie Ihnen und Norbert Blüm und einem Politiker wie Christian Wulff, der insgesamt staatliche Fürsorge eher zurückdrängen will, überhaupt Berührungpunkte?
Selbstverständlich, aber da entsteht keine neue Front in der CDU. Beim Thema versicherungsfremder Leistungen ist ja der ganz überwiegende Teil der CDU meiner Meinung. Auch bei der Rentenbelastung vermute ich, daß der überwiegende Teil der CDU-Führung das so sieht.
Aber die meisten haben dem Konzept zugestimmt. Sie nicht.
Wenn einem ein Gesamtpaket zu 90 Prozent gefällt und zu 10 Prozent nicht, dann ist das immer eine heikle Frage, ob man zustimmt oder nicht. Ich war der Meinung, daß hier ein Signal gesetzt werden muß.
In den Medien wird jetzt über ein mögliches Ende der Ära Kohl spekuliert und offen die Nachfolgerfrage diskutiert. Halten Sie größere Umwälzungen in der politischen Landschaft infolge der Steuerkontroverse für möglich?
Nein. Das ist an den Haaren herbeigezogen. Das eigentlich Überraschende ist ja, daß es als sehr ungewöhnlich angesehen wird, wenn es mal Streit gibt. Dabei gehört das eigentlich zur Demokratie. Mir wird viel zuwenig gestritten. Ich halte nichts von dem Motto „Konform – Uniform – Chloroform“. Wo alle dasselbe denken, da wird nicht viel gedacht.
Stimmen Sie der These zu, daß eine mögliche Kanzlerkandidatur von Fraktionschef Schäuble mit der Frage steht und fällt, ob er die Steuerreform durchbringt?
Ach nein. Erstens bringen wir sie durch, und zweitens ist es davon unabhängig. Es gibt ja außerdem, wie er selbst gesagt hat, auch noch andere Kandidaten. Ich beteilige mich nicht an Personalspekulationen. Interview: Bettina Gaus
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