Kinderabschiebung als Politikkonzept

■ Jugendsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) macht die beschleunigte Abschiebung von geflüchteten Kindern zur Senats-Leitlinie. Alleinstehenden Minderjährigen wird Rechtsweg konsequent verweigert

Die Abschiebung der 12jährigen Ha Phuong Nguyen nach Vietnam ist nicht etwa einer Nachlässigkeit ihres Vormundes anzukreiden, sie ist Teil der Strategie des Senats, die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge zu „mindern“. Das geht aus einer erst jetzt bekanntgewordenen Senatsvorlage von Mitte Dezember 1996 hervor.

Darin heißt es: „Die weitere Beschleunigung der Asylverfahren und Rückführungen in die Herkunftsländer durch die Amtsvormundschaft Treptow während der ersten drei Monate werden die bisherigen Aufenthaltszeiten Betroffener verkürzen, die Zahl der in Berlin verbliebenen Asylsuchenden mindern, auch Anschlußunterbringungen durch zuständig werdende Jugendämter vermeiden und somit zu Einsparungen in den Bezirkshaushalten führen.“ Unterschrieben hat das nicht etwa Innenstaatssekretär Kuno Böse oder ein Hardliner in der Ausländerbehörde – sondern die sozialdemokratische Jugendsenatorin und einstige Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer.

Im Klartext heißt das: Der Senat will Kosten sparen, und zwar bei den Schwächsten: Kinder, die vor materieller Not oder politischer Verfolgung nach Berlin fliehen, sollen schnellstmöglich „rückgeführt“ werden. Das ist jedoch weder mit der UN-Kinderkonvention noch mit dem Haager Minderjährigenschutzabkommen vereinbar. Mit den etwa 2.500 jährlich einreisenden Kinderflüchtlingen sei Berlin im Bundesvergleich „exorbital hoch belastet“, schreibt Frau Stahmer. Schließlich seien die „in Rede stehenden ausländischen Minderjährigen“ „ausnahmslos an unbekannter Stelle“ – und damit „illegal“ – „in das Bundesgebiet eingereist“. Wie auch anders? Seit dem Asylkompromiß ist die Einreise von Asylsuchenden weitgehend illegalisiert worden.

Dieses im Dezember vom Rat der Bürgermeister und dem Senat abgesegnete Papier macht deutlich, warum die Vormundschaft für Kinderflüchtlinge von den freien Wohlfahrtsverbänden an das Treptower Bezirksamt übergehen mußte: Vormünder stünden – so die Senatsvorlage – in der „nicht immer spannungsfreien“ Verantwortung, zwischen sinnvollen und „unbegründeten“, „von vornherein aussichtslosen“ Asylanträgen zu unterscheiden. Ein Spannungsverhältnis, das die freien Träger offensichtlich immer zugunsten eines Aufenthaltes ihrer Mündel in Deutschland ausgelotet haben.

Jens-Uwe Thomas vom Pankower Beratungszentrum „Oase“ wurde in den letzten Tagen von etwa 15 Jugendlichen aus verschiedenen Ländern aufgesucht, für die der Vormund keine Klage gegen einen abgelehnten Asylbescheid eingelegt hatte. Begründung: Die „Mündel“ hätten beim Anhörtermin im Bundesamt keine ausreichenden Angaben gemacht. „Diese pauschale Feststellung trifft der Amtsvormund“, so Thomas, „obwohl er die Mündel nicht persönlich kennt bzw. sie nicht zur Anhörung begleitet hat.“ Traumatisierungen werden nicht berücksichtigt. Die Vormünder verweigern ihren „Mündeln“ auch eigene Klagen gegen abgelehnte Asylbescheide. Wer jünger als 16 ist, darf ohne Einverständnis des Vormundes nicht vor Gericht ziehen. Damit wird das Treptower Amtsvormundschaftswesen zum verlängerten Arm der Ausländerbehörde degradiert. Ein Protest der Mitarbeiter in dem von Joachim Stahr (CDU) geführten Treptower Jugendamt ist kaum zu erwarten.

Den Jugendlichen wird der Rechtsweg versperrt, der erwachsenen Asylbewerbern zusteht. Thomas: „Ein einzelner juristischer Berater bei der Amtsvormundschaft ist offenbar in der Lage, die Rolle des Verwaltungsgerichtes auszuüben.“ Marina Mai