■ Türkei: Ministerin wird als Drogenhändlerin verdächtigt: Das Schweigen der Tansu Çiller
Immer dann, wenn Partnerstaaten der Türkei Kritik an innertürkischen Verhältnissen üben, scheint eine unsichtbare Hand einen Mechanismus in Gang zu setzen. Wird Kritik an der türkischen Kurdenpolitik geübt, lautet die Antwort: Die Europäer arbeiten Hand in Hand mit der Terrororganisation PKK. Bei Kritik an Menschenrechtsverletzungen und der Folterpraxis lautet sie: Die Europäer wollen damit die Türkei zerstückeln. Türkische Politiker und Medien sind Meister darin, eine nationalistische Entsetzungswelle zu inszenieren und gegen die europäischen „Wölfe im Schafspelz“ zu mobilisieren. Doch nach dem Urteil des Frankfurter Landgerichts gegen Drogenhändler, in welchem ein Richter die türkische Außenministerin Tansu Çiller bezichtigte, im Heroinhandel involviert zu sein, blieb – von Ausnahmen abgesehen – in der Türkei der erwartete Sturm der Entrüstung aus. Für die Deutschen mag die Beschuldigung, daß eine Ministerin im Drogengeschäft stecke, eine Ungeheuerlichkeit darstellen, für die Türken ist sie so normal wie das tägliche Brot.
Nach dem Verkehrsunfall im ägäischen Susurluk vor fast drei Monaten, bei welchem ein Abgeordneter von Çillers Partei, ein hochrangiger Polizeifunktionär und ein von Interpol gesuchter Heroinhändler und Killer verunglückten, erscheint sicher, daß Killerkommandos und Drogenmafia mit der Polizei und der Staatsspitze kollaborieren. Tagtäglich liefern die parlamentarische Untersuchungskommission und die Medien neue Beweise: Der mittlerweile zurückgetretene Innenminister Mehmet Agar höchstpersönlich statte den Killer Abdullah Catli mit Diplomatenpässen und Polizeiausweisen aus. Von der Polizei gefaßte Drogendealer und Mörder wurden auf Geheiß des Innenministers freigelassen und die Festnahmeprotokolle wurden vernichtet.
„Multimillionärin Çiller steht an der Spitze einer kriminellen Bande, die Drogenhandel, Mord und Geldwaschanlagen betreibt“, ist in türkischen Medien zu lesen. Und was macht die beschuldigte Außenministerin? Sie reagiert weder mit Unterlassungs- noch mit Beleidigungsklagen darauf, zu sehr fürchtet sie Prozesse. Angesichts solcher Verhältnisse wundert sich in der türkischen Öffentlichkeit niemand über die Äußerungen des Frankfurter Gerichts. Worüber sollte man sich empören? Schließlich hat ein deutsches Gericht lediglich ausgesprochen, was die Türken ohnehin denken. Von der „nationalen Würde der Türkei“ bleibt eben nicht viel übrig, wenn man eine Frau Çiller zur Außenministerin hat. Ömer Erzeren
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