: Rituelles Blöken?
■ Warum Blüm gegen das Steuerpaket sein muß
In Bonn hat die Stunde der Sprachdeuter geschlagen, seit die Steuerreform innerhalb der Union einen heftigen Streit ausgelöst hat. Vom Rücktritt des Arbeitsministers Norbert Blüm ist die Rede. Denn der dienstälteste Minister im Kabinett Kohl wehrt sich gegen Pläne, die Renten zu besteuern, will eine Zusage über eine Mehrwertsteuererhöhung, die die Rentenkassen entlasten soll. Nach außen gibt sich Blüm indes wie immer: Hier wird ein wenig gepoltert, dort werden sogleich Rücktrittsgerüchte dementiert.
Wann immer Blüm in den vergangenen Monaten zu hören war, dann mit jenem Satz: „Die Renten sind sicher.“ Die Rente ist die Bastion, die der Machtjongleur Blüm verteidigen will. Er muß es, weil er ansonsten nicht mehr viel zu verteidigen hat. Immer mehr wurde der Einfluß der CDU-Sozialausschüsse in den vergangenen Jahren zurückgedrängt. Es ist paradox: Blüm selbst hat zu ihrem Bedeutungsverlust beigetragen, indem er in 14 Jahren Kohl-Regierung fast jeden Abbau von Arbeitnehmerrechten mitgetragen hat.
Und doch bleibt der Gewerkschafter Blüm der letzte Garant für den Einfluß jenes Teils der CDU, der den Nachkriegskonsens dieser Republik begründet hatte: Wenn gekürzt und gestrichen werden muß, dann immer oberhalb der Grenze des gesellschaftlichen Aufschreis. Gerade in der Rentendebatte aber zeigt sich, wie einer der Eckpfeiler jener Nachkriegsordnung ins Wanken gerät. Was Blüm verteidigt – das System der Solidargemeinschaft zwischen Jung und Alt – wird von Teilen des Nachwuchses der CDU als überholtes Relikt gesehen.
Noch gibt es keine Anzeichen, daß das Rentensystem gänzlich umgekrempelt werden soll. Auch Kohl hat kein Interesse daran, vor dem Wahljahr 1998 die große Zahl älterer Unionswähler zu verschrecken. Mit seiner Zustimmung zum Steuerpaket hat der Kanzler aber signalisiert, daß er notfalls auch gegen den Kurs seines dienstältesten Ministers die Renten belasten würde. Das könnte Blüm nicht wortlos hinnehmen. Am Ende aber wird sich wohl wieder alles einrenken. Den Kurs hat Blüm vergangene Woche sich selbst schon verordnet. Nach der turbulenten Sitzung des CDU-Bundesvorstandes sagte er: Kompromisse werde er „auch weiterhin machen“. Severin Weiland
Bericht und Interview Seite 4
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