Rechthaberisch, kindisch und unsozial

Im Dezember 1993 erstach er im Zug den Gambier Kolong Jamba. 1995 wurde er freigesprochen. Seit gestern steht Winfried Sch. erneut vor dem Landgericht in Stade  ■ Von Elke Spanner

Als Kolong Jamba starb, steckte das tödliche Messer wieder gesäubert in der Klinge, und Winfried Sch. ging seelenruhig nach Hause.

„Was guckst du so? Er hat mich bedroht“, hatte Winfried Sch. im Dezember 1993 entsetzten Mitreisenden entgegengeblafft, als der schwer blutende Gambier Kolong Jamba aus dem Abteil getorkelt kam. Vorbehaltlos glaubte ihm die Polizei, daß er sich gegen den Schwarzafrikaner verteidigen mußte. Vorbehaltlos glaubte ihm auch das Landgericht Stade, wo Winfried Sch. wegen Totschlags angeklagt und im April 95 freigesprochen wurde. Der Bundesgerichtshof kassierte das Urteil im März 1996 jedoch wieder ein. Seit gestern muß sich der Angestellte der Hamburger Umweltbehörde daher erneut vor dem Stader Landgericht dafür verantworten, daß er am 7. Dezember 1993 im Zug den Gambier Kolong Jamba erstach.

Es war 16.17 Uhr, als Wilfried Sch. an jenem Dienstag wie gewöhnlich mit dem Eilzug vom Hamburger Hauptbahnhof seinem Feierabend in Buchholz entgegenrollte. Im überfüllten Zug hatte er ein 1.-Klasse-Abteil ergattert, und das wollte er für sich behalten. So fühlte er sich gestört, als plötzlich Kolong Jamba das Abteil betrat. Es kam zum Streit: „Der Angeklagte provozierte die Auseinandersetzung“, erkannte das Stader Landgericht im ersten Urteil, „indem er wiederholt und entgegen dem ausdrücklich bekundeten Willen des Mitreisenden Jamba das Abteilfenster öffnete und die kalte Dezemberluft in das Abteil ließ“. Auch davon, daß Wilfried Sch. den Gambier bewußt vertreiben wollte, zeigte sich die Große Strafkammer in Stade überzeugt. Sein Verhalten sei „rechthaberisch, kindisch anmutend und unsozial“ gewesen.

Dennoch wird nur wenige Sätze später Kolong Jamba zum Angreifer erklärt. Das Gericht erkannte auf Notwehr: Jamba sei auf Wilfried Sch. losgegangen, um ihm mit seinen Händen ins Gesicht zu fassen und ihm Prügel zu verabreichen. Daraufhin habe Wilfried Sch. das Messer aus der Innentasche seiner Jacke gezogen und zugestochen. „Der von Statur eher schmächtige Angeklagte“, so heißt es im Urteil, habe keine andere Möglichkeit gehabt, als mit „dem Fahrtenmesser nach vorne in Richtung des Körpers“ von Jamba zu stechen.

Anders sah das der Bundesgerichtshof. Da Wilfried Sch. die Auseinandersetzung schuldhaft provoziert habe, hätte er sich bei der anschließenden Verteidigung zurückhalten müssen. Er hätte um Hilfe rufen können, denn vor der Tür standen zahlreiche Mitreisende. Doch Wilfried Sch. will keine Zeit mehr für klare Gedanken gehabt haben. „In Todesangst“ will er das Messer aus der Tasche gezogen und in den Bauch von Kolong Jamba gerammt haben. Wie schon bei seinem ersten Prozeß versuchte er auch gestern, den tödlichen Stich als „reflexartig, spontan und ungezielt“ darzustellen.

Sollte das Stader Landgericht der Version einer reinen Verzweiflungstat Glauben schenken, müßte es wie im ersten Urteil die Widersprüche dazu erklären: Kolong Jamba hatte nicht nur im Bauch, sondern auch im Nacken Stichverletzungen.

Daß Wilfried Sch. eine Bundeswehrmütze trug und Messer an seinem Gürtel baumelten, soll laut dem Freispruch im April 1995 allein seinem Hobby, der Jagd, geschuldet sein. Und soweit er beim Anblick von Schwarzen gelegentlich abfällige Worte wie „Teerpappe“ oder „Bimbo“ benutzte, hielt ihm das Gericht zugute, sei das nicht Ausdruck einer ausländerfeindlichen Gesinnung, sondern „ein Ausnahmefall“.

Gestern sagte Wilfried Sch. über Kolong Jamba: „Das war kein guter Mann.“