: Höhn gegen Höhn vor Gericht
Das Landesverfassungsgericht eröffnet heute Grundsatzprozeß um Garzweiler II. Beklagte Umweltministerin Höhn gehört auch zu den Klägern ■ Von Walter Jakobs
Münster (taz) – Reservierte Plätze gibt es für den heute beginnenden Prozeß um den geplanten Braunkohletagebau Garzweiler II vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster schon seit langem nicht mehr. Der Andrang von Journalisten und Anwohnern aus dem rheinischen Braunkohlegebiet ist riesig. Auch die politischen Akteure der rot-grünen Landesregierung in Düsseldorf blicken erwartungsvoll nach Münster. Vom Ausgang des Prozesses dürfte auch die Zunkunft ihrer Koalition maßgeblich mitbestimmt werden.
Zu entscheiden hat das Landesverfassungsgericht Nordrhein- Westfalen unter dem Vorsitz des Präsidenten Michael Bertrams über eine Organklage der bündnisgrünen Landtagsfraktion und sieben Klagen von Kommunen aus dem zwischen Mönchengladbach, Aachen und Köln gelegenen Abbaugebiet. Alle Kläger wollen verhindern, daß die Bagger jemals losgelassen werden, um das geplante 48 Qudratkilometer große Riesenloch auszuheben.
Die Organklage der Bündnisgrünen zielt darauf ab, den bisherigen Genehmigungsprozeß grundsätzlich aus den Angeln zu heben. Im Frühjahr 1995 habe die SPD- Alleinregierung die Braunkohleplanung ohne eine Leitentscheidung in Form eines Gesetzes durchgezogen, steht in ihrer Klage. Angesichts der gravierenden Eingriffe in die Natur und Umwelt der Menschen sei das ein glatter Verfassungsverstoß. Ohne Landesgesetz, so die grüne Argumentation, habe der damalige Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) den Braunkohleplan nicht genehmigen dürfen.
Für Umweltministerin Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen) ist das Verfahren pikant. Als ehemalige Fraktionssprecherin zählt sie zu den Klägern. Andererseits muß sie als beklagte Ministerin vor Gericht den Standpunkt der Landesregierung vortragen. Während die Landesregierung das praktizierte Verfahren nach wie vor für „rechtmäßig“ hält, ist die Politikerin Höhn vom Gegenteil überzeugt. Doch als Prozeßvertreterin der Regierung will sie „natürlich aus Fairneßgründen auch die Haltung der alten Landesregierung vortragen“. Aber gleichzeitig wolle sie „neue Aspekte“, wie die Notwendigkeit von zusätzlicher „Bürgerbeteiligung“, deutlich machen.
Ein bißchen neuer Wind nach dem grünen Regierungseintritt findet sich in einer ergänzenden Stellungnahme, die der neu berufene Prozeßbevollmächtigte der Landesregierung, Prof. Schuppert, dem Gericht zugeleitet hat. Darin heißt es: „Die mit jedem großflächigen Braunkohletagebau notwendig verbundenen erheblichen Eingriffe in die Natur, insbesondere den Wasserhaushalt, sowie die mit der Umsiedlung großen Stils verbundenen sozialen Probleme lassen eine intensive Befassung des unmittelbar demokratisch legitimierten Landtages mit den Grundsätzen der Braunkohleplanung als sinnvoll erscheinen.“ Das Gericht muß nun entscheiden, ob es dazu eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrnes bedurft hätte.
Bei den kommunalen Klagen geht es um die Frage, ob durch den Braunkohleplan die Selbstverwaltung der Kommunen ausgehebelt wurde. Mehrere Gemeinden rügen, Garzweiler II verdränge sie und zwinge die Anwohner zur Umsiedlung. Dadurch werde die in der Landesverfassung garantierte Selbstverwaltung der Kommunen verletzt. Während der Braunkohleplan erstellt wurde, seien sie unzureichend beteiligt gewesen. Darüber hinaus sei die Planung nicht aus einem Landesentwicklungsplan abgeleitet worden. Der habe nicht einmal vorgelegen.
Sollten die Garzweiler-II-Gegner mit nur einer der acht Klagen vor dem Verfassungsgericht Erfolg haben, müßte das gesamte Verfahren neu aufgerollt werden. Angesichts der derzeitgen politischen Mehrheitsverhältnisse wäre das Ende des Projekts damit besiegelt. Es sei denn, die SPD steigt mit der CDU ins Koalitionsboot.
Weitere Klagen gegen das Projekt laufen vor dem Verwaltungsgericht in Aachen. Hierbei geht es darum, ob einfache Gesetze während der Planung verletzt wurden. Etwa durch Mißachtung von Verfahrensvorschriften oder durch Beteiligung von „befangenen Amtsträgern“ an der Aufstellung des Braunkohleplans. Ein Ende dieser Verfahren ist nicht in Sicht. Die Verwaltungsrichter wollen die Entscheidung in Münster abwarten.
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