: Augenweh am offenen Fenster
■ Klug und gut: Kunsthistoriker Werner Hofmanns Vortrag zur Bildinflation und der Koexistenz verschiedener Realitäten
Die Sitzreihen der Freien Akademie der Künste waren am Dienstag abend voll besetzt, als Ex-Kunsthallendirektor Werner Hofmann seine Anmerkungen zur gegenwärtigen Situation der Bildwahrnehmung unter dem Titel „Die Bilder kommen und gehen“ vortrug. Ausgangspunkt des locker und frei gehaltenen Dia-Vortrages waren Fragen, die von Fabulierern mit dem Verweis auf „Postmoderne“ gern umgangen werden. Nicht so Hofmann.
Wieviele Bilder können die Augen vertragen? Wieviel kann der Verstand davon bewältigen? Seit Jahrzehnten testet das Fernsehen die Belastbarkeit unserer Sinne. Die Computer-Welt hat diesen Testlauf an die Grenze der menschlichen Informationsverarbeitung getrieben. Die meisten steuern hilflos durch Bilderfluten, die keinen verbindlichen Kriterien mehr unterzogen werden. Und wie reagieren die Künstler auf diese Situation, in der seit Simulation und Golf-Krieg die Wahrheits-Kriterien entzogen zu sein scheinen ?
Werner Hofmanns Rückgang in die Geschichte der Kunst stellte sich als kluger Weg heraus. Die Bilderhäufung und die über das Bild als Bild herausreichende Deutung sind nicht erst Erfindungen im kulturtechnologischen Medienzeitalter. Denn ihre Vorgeschichte beginnt bereits in Mittelalter und Renaissance. Die Kategorie des „Mehrfeldbildes“ (Hofmann) muß an dieser entscheidenden Schnittstelle in das Zentrum der Untersuchungen rücken.
Auch die Werbung für TV-Programme und Apparate, die gleich mehrere Bildwelten zur Disposition stellen, verweisen auf eine seit der mittelalterlichen Buchmalerei gebräuliche, narrative Struktur. Die Renaissance mit ihrer Vorstellung vom Bild als „offenem Fenster“ (L.B. Alberti) bewegt sich im „Systemraum“ des Bildes (E. Panofsky). Bereits im 18. und 19. Jahrhundert werden von Hogarth bis Courbet mehrere Informations- und Bildangebote in einem Werk geliefert, die auf verschiedenen Ebenen interpretiert sein wollen. Diese Differenzierungsmöglichkeit ist letzlich die Chance der Auswahl.
Berechtigterweise müssen hier Duchamp und Magritte zu Bild und Sprache kommen. Mit der Zerstörung des Illusionsraumes im Bild wird der Betrachter „An der Schwelle zur Freiheit“ (Magritte) mehr als nur ein Interpret. Er ist nun konstituierender Faktor künstlerischer Überlegungen (Duchamp). Hofmanns Diskurs reicht dann bis zu Rauschenberg, Oppermann, Buren und Nam June Paik und machte eines deutlich: Der Künstler macht ein Wahrnehmungsangebot, daß wir kombinatorisch zum Leben erwecken müssen, wenn wir es aus der erstarrten Form des „offenen Fensters“ herausführen wollen.
Der Luxus der Gegenwart besteht also in der Chance zur Auswahl. Eine sinnliche und reflektierenden Arbeit mit dem Risiko der erschwerten Form.
Es war wieder einmal erfrischend, daß hier über Form und Inhalt geredet wurde und nicht über Markt- und Börsenwerte. Die Koexistenz verschiedener Realitäten ist eben ein ethischer und ästhetischer Auftrag. Gunnar F. Gerlach
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