: Der Weg der produktiven Zerstörung
Von der Wegwerfgesellschaft hin zu langlebigen Produkten: An der Technischen Universität nimmt die Demontagefabrik Gestalt an. Wiederverwertung rührt am „Nerv der Industrie“ ■ Von Hannes Koch
Der Professor springt in der futuristischen Glashalle umher. Begeistert zupft er hier an einem Roboterarm, setzt dort eine Versuchsapparatur in Gang. „Das Neueste vom Neuesten, weltweit einmalig“ sind seine ständigen Vokabeln, wenn er in hektischen Lobpreisungen die Produkte der Denkfabrik am Charlottenburger Spreeufer rühmt. Ist ein Assistent so unvorsichtig, sich zwischen den Maschinen nicht zu verstecken, ist er dran. „Können Sie mal eben..., machen Sie doch mal...“, heißt es dann.
Günther Seliger ist zusammen mit seinem Kollegen Günter Spur das Hirn des Sonderforschungsbereichs 281 an der Technischen Universität (TU). Unterstützt von 16 AssistentInnen und 25 StudentInnen entwickeln die beiden Konzepte und Visionen, beschaffen Geld und Stellen, um auf ihrem Weg der produktiven Zerstörung voranzukommen. Das Fernziel: Sie wollen ein Netz von Demontagefabriken aufbauen, die die ausrangierten Produkte der Industriegesellschaft so zerlegen, daß sich ihre Komponenten zu neuen Waschmaschinen, Fernsehern, Autos zusammensetzen lassen.
Werden die Ideen dereinst Realität, könnte eine Fabrik so aussehen: Ein 20 Jahre altes Fahrzeug rollt in die Halle. Roboter und DemontagearbeiterInnen lösen Schrauben, Nieten und Schweißnähte. Weil schon bei der Produktion des Autos seine Deproduktion eingeplant wurde, liegt das Gefährt nach einer Viertelstunde als sortenrein getrennte Bleche und Kunststoffe in Sammelbehältern. Das Material wird in der Fabrik eingeschmolzen, zu neuen Teilen geformt und am benachbarten Fertigungsband in neue Autos eingebaut.
Abnutzungsfreie Teile wie Gaspedal und Lenkrad finden sofort wieder Verwendung, ohne den energieaufwendigen Prozeß der Umformung zu durchlaufen. „Wir bereiten die Kreislaufwirtschaft vor“, sagt Günther Seliger. Riesige Müllmengen und die Verschwendung von Rohstoffen gehörten dann der Vergangenheit an.
Für heute und morgen hat der Forschungsbereich – er zählt zu den fortgeschrittensten Instituten seiner Art – die DemontageforscherInnen zu einem bundesweiten Colloquium in die Glashalle an der Pascalstraße eingeladen. Neben der Utopie wollen die IngenieurInnen auch die ersten kleinen Schritte beraten. Dazu gehört ein Prototyp, der Günther Seliger besonders am Herzen liegt: „Dieser Roboter kann Sie umarmen.“ Dank einer neuen Gelenkkonstruktion zwischen den einzelnen Gliedern erreicht der Maschinenarm fast jede Stelle in seiner Umgebung – eine Voraussetzung dafür, auch komplizierte Geräte schnell auseinandernehmen zu können. Er eignet sich sowohl zur Montage als auch zur Demontage. Ein Industriebetrieb könnte mit dieser Maschine also beide Prozesse erledigen.
Dieses Beispiel zeigt, wie die ForscherInnen versuchen, einen Fuß in die Tür zu bekommen. „Die Demontage muß den Beweis antreten, daß sie ein lukratives Geschäftsfeld sein kann“, sagt Seliger. Deshalb dürfen die Anlagen nicht zu teuer sein. Doppelte Verwendungsmöglichkeiten senken die Kosten. Schließlich steht die neue Technologie in direkter Konkurrenz zur heute oftmals billigeren Deponierung oder Verbrennung des Mülls.
Professor Seliger weiß aber auch: „Unsere Ideen gehen schnell an den Nerv der Industrie.“ Denn die heutige Produktionsweise setzt nicht in erster Linie auf Wiederverwendung, sondern auf die permanente Herstellung neuer Produkte. Das bringt den meisten Gewinn. So fassen die ForscherInnen das Problem von allen Seiten an und entwickeln eine Gesamtstrategie für den Übergang zur rohstoffsparenden Wirtschaftsweise. „Anstatt die Produktion materieller Güter zu erhöhen könnte man auch die Produktion von Nutzen maximieren“, meint Seliger. Autohersteller würden ihre Fahrzeuge dann nicht mehr verkaufen, sondern nur noch verleasen.
Ihren Gewinn würden sie aus dem Verkauf der Dienstleistung „Mobilität“ schöpfen. In dieser Sichtweise hätten die Industrieunternehmen ein Interesse an langlebigen Gütern und an der kostengünstigen Demontage und Wiederverwendung noch brauchbarer Komponenten. Dafür spricht die betriebswirtschaftliche Kalkulation eines Dienstleistungsunternehmens: Je öfter sich ein Produkt vermieten läßt, desto höher der Gewinn. Einstweilen steht Günther Seliger jedoch vor ganz praktischen Schwierigkeiten. In Berlin gebe es kaum Betriebe, die die im Sonderforschungsbereich entwickelten Prototypen zur Serienreife bringen könnten oder wollten. „In der Wirtschaft finden Sie mehr Unterlasser als Unternehmer“, beschwert sich der Ingenieur. Er und seine KollegInnen haben nun den Schluß gezogen, neue, innovative Unternehmen selbst zu gründen. Günther Seliger: „Ein Traum hat sich schon erfüllt: Ich habe nur motivierte Mitarbeiter.“
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