: Tostedter Prügelszenen
Neonazi-Prozeß in der Nordheide: Brutale Skin-Attacke auf Fotojournalisten. Polizei kam wegen „unglücklicher Umstände“ zu spät ■ Von Marco Carini
Prügelnde Neonazis im Amtsgericht, eine Polizei, die durch Abwesenheit glänzt und ein mehr als umstrittenes Urteil: Der Prozeß gegen den ortsbekannten Skinhead Christian H. vor dem Tostedter Amtsgericht geriet gestern zum Eklat. Ein Pressefotograf wurde durch die rechtsextremen Schlägertrupps verletzt, der Angeklagte vom Vorwurf der „gefährlichen Körperverletzung“ trotz zahlreicher belastender Aussagen freigesprochen.
Die Übergriffe: Gegen neun Uhr morgens, kurz nach Prozeßbeginn, sammeln sich rund 30 Skinheads im Foyer des Gerichtsgebäudes. Als der Fotograf Peter B. sein Objektiv auf den braunen Pulk richtet, schlagen die Ultrarechten zu. „Fünf Skinheads“, so der Foto-Journalist, hätten ihn „zu Boden gerissen“, seine Kamera ramponiert und das Blitzlicht geklaut. Schließlich greifen Mitglieder der Tostedter Antifa-Szene ein, die zuvor den Prozeß beobachtet hatten. Es entwickelt sich eine Prügelei im Eingang des Gerichts, in deren Verlauf mehrere Personen verletzt werden. Der attackierte Fotograf hat Glück im Unglück: Er kommt mit Hautabschürfungen und blauen Flecken davon.
Mittenmang im Nazipulk: Der Streetworker Bernd Rutkowski, der in Handeloh und Winsen im Rahmen zweier „Jugendzentren“ die rechte Szene der Nordheide „betreut“. Gemeinsam mit den Neonazi-Kadern Sacha Bothe und Sebastian Stöber marschiert er vor dem Gericht auf. Als es zu den Angriffen kommt, mischt er sich nicht ein. Dem Fotografen wirft er später nach übereinstimmenden Zeugenaussagen vor, die Gewalttaten durch das Ablichten des Skin-Aufmarsches „provoziert“ zu haben. Gleich nach der Schlägerei macht sich der Augenzeuge Rutkowski aus dem Staub. Als die Polizei eintrifft, hat er den Tatort verlassen.
Die Polizei: Als „Verkettung unglücklicher Umstände“ bewertet der polizeiliche Einsatzleiter Jochen Burmester die Tatsache, daß seine Beamten während des Skin-Überfalls durch Abwesenheit glänzten. Er habe schon im Vorfeld polizeiliche Verstärkung aus umliegenden Revieren angefordert, um eine Konfrontation zwischen Antifa-Szene und Skins zu verhindern. Die auswärtigen Sondereinheiten hätten jedoch wegen eines anderen „dringenden Einsatzes“ kurzfristig vom Amtsgericht abgezogen werden müssen.
Die Tostedter Polizeikräfte hingegen „seien aufgehalten“ worden, so daß sie zu spät eingetroffen wären. Daß die nach Ende der Prügelei eintreffenden Beamten am Tatort laut Zeugenaussagen erst einmal dem bekannten Neonazi-Führer Sacha Bothe die Hand geschüttelt haben sollen, mag der Polizei-Einsatzleiter „nicht kommentieren“. Er sei „in der ersten Einsatzphase nicht vor Ort“ gewesen. Eine Strafanzeige des angegriffenen Fotografen habe die Polizei vor Ort „aus einsatztaktischen Gründen nicht annehmen“ können.
Das Urteil: Obwohl mehrere Augenzeugen, darunter der städtische Jugendpfleger Jürgen Petterson, den Skinhead Christian H. als den Mann identifizieren, der am 26. Juni vergangenen Jahres dem polnischen Schüler Adam K. durch einen Flaschenwurf das Jochbein zertrümmerte, wird der Angeklagte „mangels Beweisen“ vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. Richter Pittelkow sieht es lediglich als erwiesen an, daß Christian H. an einem dem Flaschenwurf vorausgegangenen Skin-Überfall auf das Tostedter Jugendzentrum beteiligt war. Wegen einfachem „Landfriedensbruch“ verurteilt er den Neonazi zu einer Geldstrafe von 1.800 Mark.
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